Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erkennt eine umsatzsteuerliche
Organschaft auch dann an, wenn die Organgesellschaft (Tochtergesellschaft) eine
Personengesellschaft ist, an der auch natürliche Personen beteiligt sind. Es
ist daher unbeachtlich, dass die natürliche Person nicht in das Unternehmen des
Organträgers finanziell eingegliedert ist, weil der Organträger keine
Stimmrechte an einer natürlichen Person halten kann.
Hintergrund: Bei einer
umsatzsteuerlichen Organschaft werden der Organträger und seine
Organgesellschaften als ein Unternehmen zusammengefasst, so dass nur der
Organträger Umsatzsteuer schuldet, und zwar auch für die Umsätze, die die
Organgesellschaften ausgeführt haben. Der Organträger macht auch die Vorsteuern
für die Organgesellschaften geltend. Eine Organschaft besteht, wenn eine
Organgesellschaft wirtschaftlich, organisatorisch und finanziell in das
Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Die finanzielle Eingliederung
erfordert die Stimmenmehrheit. Nach deutschem Recht kann nur eine juristische
Person wie z.B. eine GmbH eine Organgesellschaft sein; der EuGH hat aber
bereits vor einigen Jahren entschieden, dass grundsätzlich auch
Personengesellschaften Organgesellschaften sein können.
Sachverhalt: Klägerin war eine
GmbH & Co. KG, die sich als Organgesellschaft der M-GmbH ansah. Die
Gesellschafter der Klägerin waren die M-GmbH (der mögliche Organträger), die
A-GmbH als Komplementärin, die D-GbR sowie die natürlichen Personen C, D und E
als Kommanditisten. Bei der Klägerin galt das Mehrheitsprinzip. Die M-GmbH
hatte sechs Stimmen an der Klägerin, während die übrigen Gesellschafter jeweils
eine Stimme hatten. Die Klägerin war wirtschaftlich und organisatorisch in das
Unternehmen der M-GmbH eingegliedert. Das Finanzamt erkannte die Klägerin nicht
als Organgesellschaft an, weil an ihr auch natürliche Personen beteiligt waren,
an denen die M-GmbH keine Stimmenmehrheit hielt.
Entscheidung: Der EuGH
entschied, dass die Klägerin eine Organgesellschaft sein kann, so dass nur die
M-GmbH als Organträgerin die Umsatzsteuer abführen muss:
-
Nach dem europäischen Umsatzsteuerrecht können auch
Personengesellschaften Organgesellschaften sein. Die einzelnen EU-Staaten
dürfen die Anerkennung einer Organgesellschaft nicht davon abhängig machen,
dass die Organgesellschaft eine juristische Person ist. Das europäische
Umsatzsteuerrecht ist nicht restriktiv
auszulegen. -
Für die Anerkennung einer Organgesellschaft genügt es, dass
diese wirtschaftlich, organisatorisch und finanziell in das Unternehmen des
Organträgers eingegliedert ist. Die wirtschaftliche und organisatorische
Eingliederung war nicht streitig; die finanzielle Eingliederung bestand, weil
die M-GmbH als Organträgerin die Mehrheit der Stimmrechte an der Klägerin
hatte. Damit konnte die M-GmbH ihren Willen bei der Klägerin durchsetzen. -
Die Finanzverwaltung darf nicht verlangen, dass an der
Personengesellschaft nur juristische Personen beteiligt sind, an denen der
Organträger die Stimmrechtsmehrheit hält. Eine derartige Anforderung ist nach
dem europäischen Umsatzsteuerrecht nicht gerechtfertigt und darf auch nicht
zwecks Bekämpfung der Missbrauchsgefahr und der Steuerhinterziehung verlangt
werden.
Hinweise: Der EuGH hat bereits
vor ein paar Jahren entschieden, dass das deutsche Gesetz, das nur juristische
Personen als Organgesellschaften anerkennt, mit dem europäischen
Umsatzsteuerrecht nicht vereinbar ist. Die Finanzverwaltung hat daraufhin
reagiert und nun auch Personengesellschaften als Organgesellschaften anerkannt,
aber nur, wenn sämtliche Gesellschafter der Personengesellschaft in das
Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind; dies setzte voraus,
dass alle Gesellschafter der Personengesellschaft juristische Personen sind, da
nur an juristischen Personen eine Stimmenmehrheit begründet werden kann.
Der EuGH widerspricht nun der Auffassung der Finanzverwaltung und
lässt auch Personengesellschaften, an denen natürliche Personen beteiligt sind,
als Organgesellschaften zu. Damit die Finanzverwaltung nicht schutzlos ist,
stellt der EuGH es anheim, dass die Finanzverwaltung einen schriftlichen
Nachweis für die finanzielle Eingliederung verlangen kann oder dass die
Organschaft eine Bewilligung durch das Finanzamt voraussetzt. Auf diese Weise
könnte verhindert werden, dass das im Gesellschaftsvertrag verankerte
Mehrheitsprinzip durch ein Einstimmigkeitsprinzip mündlich ausgetauscht wird
und sich damit die Voraussetzungen für die finanzielle Eingliederung ändern,
ohne dass das Finanzamt hiervon zeitnah erfährt.
EuGH, Urteil vom 15.4.2021 – Rs. C-868/19 „M-GmbH“,
NWB