Der Bundesfinanzhof (BFH) ist sich nicht sicher, ob die Tätigkeit
von Gutachtern, die die Pflegebedürftigkeit von Patienten im Auftrag des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung beurteilen, umsatzsteuerfrei
ist. Das Gericht hat daher ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen
Gerichtshof (EuGH) gerichtet. Dem BFH zufolge ist zwar keine
Umsatzsteuerfreiheit nach deutschem Recht anzunehmen; in Betracht kommt aber
eine Umsatzsteuerfreiheit nach europäischem Recht.
Hintergrund: Nach deutschem
Recht sind u.a. die folgenden Tätigkeiten umsatzsteuerfrei: ärztliche
Heilbehandlungen, die Umsätze der Sozialversicherung und die Umsätze von
Pflegeeinrichtungen. Nach europäischem Recht sind Dienstleistungen, die eng mit
der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind,
umsatzsteuerfrei.
Streitfall: Die Klägerin ist
eine Krankenschwester, die neben ihrer medizinischen Ausbildung auch in der
Pflegewissenschaft ausgebildet ist. Sie erstellte in den Jahren 2010 bis 2014
für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Gutachten zur
Pflegebedürftigkeit von Patienten. Sie behandelte die Honorare als
umsatzsteuerfrei. Das Finanzamt versagte die Umsatzsteuerfreiheit.
Entscheidung: Der BFH hat die
Sache dem EuGH vorgelegt, damit dieser über die Umsatzsteuerfreiheit nach
europäischem Recht entscheidet:
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Die Leistungen der Klägerin sind nach deutschem Rechten nicht
umsatzsteuerfrei. Denn es handelt sich weder um ärztliche Heilbehandlungen noch
um Leistungen der Sozialversicherung oder einer
Pflegeeinrichtung. -
Jedoch könnte eine Umsatzsteuerfreiheit nach europäischem Recht
in Betracht kommen. Der EuGH soll klären, ob es sich um Leistungen handelt, die
eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind.
Problematisch hierbei ist, dass die Klägerin nicht gegenüber den Patienten
selbst tätig geworden ist, sondern „nur“ gegenüber dem
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Der EuGH wird entscheiden müssen,
ob dies für die Umsatzsteuerfreiheit genügt.
Hinweise: Sollte der EuGH die
Umsatzsteuerfreiheit im Grundsatz bejahen, soll er außerdem klären, ob es
genügt, dass die Klägerin als Subunternehmerin für den Medizinischen Dienst
tätig geworden ist, oder ob die spätere Übernahme der Kosten durch die Kranken-
und Pflegekassen ausreichend ist.
Bis zu einer Entscheidung durch den EuGH sollten
Umsatzsteuerfestsetzungen, die Gutachter zur Pflegedürftigkeit betreffen,
verfahrensrechtlich offengehalten werden.
BFH, Beschluss v. 10.4.2019 – XI R 11/17; NWB