Die erbschaftsteuerliche Befreiung für ein Familienheim beschränkt
sich nur auf das Grundstück, auf dem sich das Familienheim befindet, und nicht
auch auf das Nachbargrundstück, wenn das Finanzamt, das für die Wertermittlung
der Grundstücke zuständig ist, zwei Wertfeststellungsbescheide für die beiden
Grundstücke erlassen hat und diese Bescheide nicht angefochten werden. Der Erbe
kann dann gegen den Erbschaftsteuerbescheid nicht mehr einwenden, dass die
beiden Grundstücke eine wirtschaftliche Einheit bilden und deshalb die
Steuerbefreiung beide Grundstücke umfasst.
Hintergrund: Die Vererbung eines
sog. Familienheims, in dem der Erblasser gewohnt hat und in dem auch der Erbe
nach dem Erbfall wohnt, ist unter bestimmten Voraussetzungen
erbschaftsteuerfrei, wenn der Erbe der Ehegatte oder das Kind ist. Bei einer
Vererbung an das Kind ist die Steuerfreiheit auf eine Wohnfläche von 200 qm
beschränkt. Gehört zum Nachlass eine Immobilie, wird deren Wert durch das sog.
Belegenheitsfinanzamt festgestellt, d.h. durch dasjenige Finanzamt, in dessen
Zuständigkeitsbereich das Grundstück liegt.
Sachverhalt: Die Klägerin war
Erbin ihrer verstorbenen Mutter. Zum Nachlass gehörte ein hälftiger
Miteigentumsanteil an einer Eigentumswohnung, die die Mutter selbst bewohnt
hatte und die nunmehr die Klägerin zu Wohnzwecken nutzte. Die Eigentumswohnung
befand sich auf dem Grundstück 1. Neben dem Grundstück 1 befand sich das
Grundstück 2, dessen Alleineigentümerin die Mutter gewesen war und das die
Klägerin ebenfalls erbte. Die Klägerin gab in ihrer Erbschaftsteuererklärung
nur ein gemeinsames Grundstück an und erklärte die Summe der Werte der beiden
Grundstücke als geerbten Wert der Immobilien. Das für die Erbschaftsteuer
zuständige Finanzamt E folgte der Erklärung und behandelte diesen Wert als
erbschaftsteuerfrei. Für die Bewertung der Grundstücke war das
Belegenheitsfinanzamt B zuständig, das Anfang September 2015 zwei
Wertfeststellungsbescheide erließ, und zwar für das Grundstück 1 sowie für das
Grundstück 2. Das Finanzamt E änderte daraufhin den Erbschaftsteuerbescheid und
gewährte die Steuerbefreiung nur noch für das Grundstück 1.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab:
Bei der Eigentumswohnung handelte es sich zwar um ein
Familienheim, das erbschaftsteuerfrei ist. Die Steuerbefreiung galt aber nur
für das Grundstück 1.
Dabei kann offenbleiben, ob der Begriff des Grundstücks, auf dem
sich das Familienheim befindet, zivilrechtlich oder bewertungsrechtlich zu
verstehen ist:
-
Ginge es nach der zivilrechtlichen Betrachtung, die
grundsätzlich im Erbschaftsteuerrecht gilt, wäre nur das Grundstück 1
steuerfrei; denn die Eigentumswohnung befand sich nur auf dem Grundstück 1. -
Ginge es nach bewertungsrechtlichen und damit steuerlichen
Grundsätzen, die grundsätzlich im Rahmen der Wertfeststellung gelten, wäre
ebenfalls nur das Grundstück 1 steuerfrei; denn für das Grundstück 1 ist ein
eigener Wertfeststellungsbescheid ergangen. Wären die Grundstücke 1 und 2 eine
wirtschaftliche Einheit, hätte das Belegenheitsfinanzamt nur einen einzigen
Wertfeststellungsbescheid erlassen dürfen, der beide Grundstücke zusammen als
wirtschaftliche Einheit umfasst. -
Die Klägerin hätte sich gegen die beiden
Wertfeststellungsbescheide durch einen Einspruch wehren und geltend machen
können, dass es sich um eine wirtschaftliche Einheit handelt, so dass beide
Grundstücke zusammenzufassen sind; dies hat sie aber unterlassen, so dass sie
diesen Einwand nicht mehr im Verfahren gegen den Erbschaftsteuerbescheid
nachholen kann.
Hinweis: Das Finanzamt durfte
den Erbschaftsteuerbescheid auch noch zuungunsten der Klägerin ändern. Die
entsprechende Änderungsnorm hing davon ab, ob man den Begriff des Grundstücks
zivilrechtlich oder bewertungsrechtlich versteht:
-
Bei zivilrechtlicher Betrachtung durfte das Finanzamt den
Bescheid wegen neuer Tatsachen ändern; denn erst aufgrund des Erlasses der
beiden Wertfeststellungsbescheide erfuhr das Finanzamt davon, dass es sich um
zwei Grundstücke handelte. Die Klägerin hatte in ihrer Erbschaftsteuererklärung
nämlich nur ein (gemeinsames) Grundstück angegeben. -
Bei bewertungsrechtlicher Betrachtung war eine Änderung
aufgrund eines Grundlagenbescheids zulässig. Denn dann waren die beiden
Wertfeststellungsbescheide des Belegenheitsfinanzamts nicht nur hinsichtlich
des Wertes, sondern auch hinsichtlich des Umfangs und Bestehens einer
wirtschaftlichen Einheit sog. Grundlagenbescheide, die das für die
Steuerfestsetzung zuständige Finanzamt E ermächtigten, den Bescheid
entsprechend zu ändern.
Hätte das Belegenheitsfinanzamt B nur einen
Wertfeststellungsbescheid für beide Grundstücke zusammen erlassen, weil es eine
wirtschaftliche Einheit bejaht hätte, hätte sich der BFH entscheiden müssen, ob
er den Begriff des Grundstücks zivilrechtlich interpretiert (dann keine
Steuerbefreiung für das Grundstück 2) oder bewertungsrechtlich versteht (dann
Steuerbefreiung für beide Grundstücke).
BFH, Urteil v. 23.2.2021 – II R 29/19; NWB