Hält ein Steuerpflichtiger bereits mindestens 95 % der Anteile am
Vermögen einer grundbesitzenden Personengesellschaft, ist ein weiterer
Anteilserwerb nach der bis zum 6.6.2013 geltenden Rechtslage nicht mehr
grunderwerbsteuerbar. Ob eine grunderwerbsteuerbare Anteilsvereinigung
vorliegt, richtet sich in dem Fall, in dem eine Beteiligung an einer
grundbesitzenden Personengesellschaft über eine zwischengeschaltete
Kapitalgesellschaft gehalten wird, nach dem Anteil am Vermögen der
Personengesellschaft und nicht nach der sachenrechtlichen Mitberechtigung am
Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft.
Hintergrund: Der
Grunderwerbsteuer unterliegt nicht nur die Übertragung von Grundstücken selbst,
sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch die Übertragung von Anteilen und
Beteiligungen an Gesellschaften, die ihrerseits Grundbesitz halten. Die
Übertragung der Beteiligung an einer grundbesitzenden Gesellschaft unterliegt
als sog. Anteilsvereinigung der Grunderwerbsteuer, wenn der Erwerber dadurch
mindestens 95 % der Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft unmittelbar oder
– über eine zwischengeschaltete Gesellschaft – mittelbar
hält.
Sachverhalt: Die Klägerin war
eine GmbH, die 100 % an der B-GmbH hielt. Die B-GmbH war als Kommanditistin mit
95 % an der grundbesitzenden Kommanditgesellschaft (KG) beteiligt. Außerdem
waren an der KG die G-GmbH als weitere Kommanditistin mit 5 % sowie – als
Komplementärin – die A-GmbH beteiligt. Die Klägerin war somit am Vermögen
der KG über die B-GmbH mittelbar mit 95 % beteiligt.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 30.8.2011 erwarb die B-GmbH von der
G-GmbH die Kommanditbeteiligung von 5 % und war somit alleinige Kommanditistin
der KG, d. h. zu 100 % am Vermögen der KG beteiligt. Im selben Vertrag kaufte
die Klägerin die Anteile an der A-GmbH (Komplementär-GmbH). Im Ergebnis war
damit die Klägerin die Alleingesellschafterin der einzigen Kommanditistin
(B-GmbH) sowie Alleingesellschafterin der Komplementärin der KG (A-GmbH) und
hielt damit mittelbar 100 % des Kapitals der KG statt wie bisher 95 %. Das
Finanzamt sah darin eine mittelbare Anteilsvereinigung und setzte
Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin fest.
Entscheidung: Der BFH gab der
Klage statt, da der Kaufvertrag vom 30.8.2011 keine Grunderwerbsteuer ausgelöst
hat.
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Eine grunderwerbsteuerbare Anteilsvereinigung setzt voraus,
dass der Erwerber der Anteile aufgrund des Anteilskaufs nunmehr mindestens 95 %
der Anteile unmittelbar oder mittelbar der grundbesitzenden Personen- oder
Kapitalgesellschaft hält. -
Bei einem mittelbaren Erwerb kommt es darauf an, ob der
Erwerber über die zwischengeschaltete Gesellschaft rechtlich begründete
Einflussmöglichkeiten auf die grundbesitzende Gesellschaft hat. Das ist dann
der Fall, wenn der Erwerber mindestens 95 % der Anteile an der
Zwischengesellschaft hält und diese ihrerseits zu mindestens 95 % an der
grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt ist. -
Bei einer mittelbaren Beteiligung kommt es für die Bestimmung
der 95 % auf die Beteiligung am Vermögen an und nicht auf die sachenrechtliche
Mitberechtigung am Gesamthandsvermögen. Dies gilt nicht nur dann, wenn der
Grundbesitz von einer Kapitalgesellschaft gehalten wird und eine
Personengesellschaft zwischengeschaltet ist, sondern auch dann, wenn –
wie im Streitfall – die grundbesitzende Gesellschaft eine
Personengesellschaft ist und eine Kapitalgesellschaft zwischengeschaltet wird.
Der Erwerber muss also mittelbar zu 95 % am Vermögen der grundbesitzenden
Personengesellschaft beteiligt sein und hierzu mindestens 95 % der Anteile an
der zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft erlangen. Ob dann noch ein Dritter
mit bis zu 4,9 % beteiligt ist, ist unerheblich, weil die sachenrechtliche
Betrachtung nicht gilt. -
Im Streitfall war die Klägerin bereits vor Abschluss des
Kaufvertrags vom 30.8.2011 mittelbar zu 95 % an der grundbesitzenden KG
beteiligt, da sie 100 % an der zwischengeschalteten B-GmbH hielt, die
ihrerseits zu 95 % an der KG beteiligt war. Damit löste der Kaufvertrag vom
30.8.2011 keine Grunderwerbsteuer mehr aus.
Hinweis: Der BFH hat in der
Vergangenheit im Rahmen der Anteilsvereinigung die sog. sachenrechtliche
Betrachtungsweise vertreten, die für den Steuerpflichtigen günstig war; denn
eine Beteiligung eines Dritten in Höhe von 0 % konnte eine
grunderwerbsteuerliche Anteilsvereinigung verhindern. Nachdem der BFH diese
Betrachtungsweise zunächst nur für zwischengeschaltete Personengesellschaften
aufgegeben hatte, gibt er die sachenrechtliche Betrachtungsweise nun auch für
den Fall einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft, die an einer
grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligt ist, auf.
Das Finanzamt hätte im Streitfall die früheren Anteilskäufe der
Klägerin vor dem 30.8.2011 besteuern müssen. Dies hat es aber unterlassen, weil
nach der damaligen Rechtsprechung keine Grunderwerbsteuer entstanden wäre. Die
Klägerin profitierte im Streitfall also von einer Änderung der Rechtsprechung,
die an sich nachteilig für die Steuerpflichtigen war.
Der BFH lässt zwar weiterhin offen, ob die sachenrechtliche
Betrachtungsweise auch beim unmittelbaren Erwerb an einer grundbesitzenden
Personengesellschaft im Rahmen einer Anteilsvereinigung gilt. Tatsächlich
dürfte dies nach der Begründung im aktuellen Urteil zu bejahen sein.
Zu beachten ist, dass das Urteil die Rechtslage bis zum 6.6.2013
betrifft. Am 6.6.2013 wurde der Tatbestand der sog. wirtschaftlichen
Anteilsvereinigung eingeführt. Danach kann auch ein weiterer Anteilserwerb
grunderwerbsteuerbar sein; allerdings wird dann die bisherige
Bemessungsgrundlage angerechnet, so dass „nur“ die Wertsteigerung besteuert
wird.
BFH, Urteil vom 27.05.2020 – II R 45/17; NWB