Ein Pflichtteilsberechtigter, der
der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, kann den Pflichtteil zwar
noch nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten fiktiv geltend machen, obwohl
der Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich nicht mehr besteht. Die fiktive
Geltendmachung muss aber vor dem Eintritt der zivilrechtlichen Verjährung
erfolgen. Es ist dann eine Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen, die den
Wert des Nachlasses und damit die Erbschaftsteuer mindert.
Hintergrund: Die Höhe der
Erbschaftsteuer richtet sich u. a. nach dem Wert des Nachlasses. Vom
Nachlasswert sind Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Zu den
Nachlassverbindlichkeiten gehören auch Verbindlichkeiten aus geltend gemachten
Pflichtteilsansprüchen. Umgekehrt muss derjenige, der einen
Pflichtteilsanspruch geltend macht, diesen versteuern.
Streitfall: Der Vater des
Klägers verstarb im Januar 2008. Alleinerbin wurde die Ehefrau des Vaters des
Klägers, die die Stiefmutter des Klägers war. Der Kläger war gegenüber seiner
Stiefmutter zwar pflichtteilsberechtigt, machte diesen Anspruch aber zunächst
nicht geltend. Im Januar 2011 starb die Stiefmutter des Klägers, und der Kläger
beerbte sie. Das Finanzamt setzte Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger fest. Im
August 2013 machte der Kläger mit einem an sich selbst gerichteten Schreiben
den Pflichtteilsanspruch aus der Erbschaft nach seinem 2008 verstorbenen Vater
geltend und beantragte anschließend die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids
zu seinen Gunsten, weil nunmehr eine Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen
sei.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab, weil der Pflichtteilsanspruch bereits
zivilrechtlich verjährt war:
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Zu den
Nachlassverbindlichkeiten gehören u. a. Verbindlichkeiten aus geltend gemachten
Pflichtteilen. Entscheidend ist die Geltendmachung, so dass erst mit der
Geltendmachung die Nachlassverbindlichkeit anzusetzen
ist. -
Hätte der Kläger zu Lebzeiten
seiner Stiefmutter den Pflichtteilsanspruch vor dem Eintritt der
zivilrechtlichen Verjährung geltend gemacht, wäre eine entsprechende
Nachlassverbindlichkeit abzuziehen gewesen, falls die Stiefmutter die
Pflichtteilsverbindlichkeit bis zu ihrem Tode nicht erfüllt hätte. Zugleich
hätte der Kläger den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch versteuern müssen,
und zwar als Erwerb vom ursprünglichen Erblasser, d. h. von seinem Vater. -
Diese Grundsätze gelten auch,
wenn der Pflichtteilsberechtigte zugleich der Erbe des verstorbenen
Pflichtteilsverpflichteten ist. Zwar geht dann die Pflichtteilsverbindlichkeit
auf den Pflichtteilsberechtigten über und erlischt damit zivilrechtlich, weil
nun der Anspruchsinhaber und der Verpflichtete identisch sind. Dieser
zivilrechtliche Untergang (sog. Konfusion) wird erbschaftsteuerlich aber im
Gesetz ausgeschlossen. Daher kann der Kläger als Pflichtteilsberechtigter
seinen Anspruch gegen sich selbst, nämlich als Erben des
Pflichtteilsverpflichteten, geltend machen. -
Voraussetzung ist aber, dass
zivilrechtlich noch keine Verjährung eingetreten ist. Zwar führt die Verjährung
zivilrechtlich nicht zum Erlöschen des Pflichtteilsanspruchs, sondern gibt dem
Verpflichteten nur die Möglichkeit einer Einrede. Nach dem Eintritt der
Verjährung gibt es aber keinen Grund, dass der Anspruch noch fiktiv gegen sich
geltend gemacht wird. Anderenfalls könnte der Pflichtteilsberechtigte auch noch
nach Jahren, also zeitlich unbefristet, eine Nachlassverbindlichkeit begründen.
Hinweis: Die Verjährung
des Pflichtteilsanspruchs tritt nach drei Jahren ein. Die Frist beginnt mit
Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte von dem Todesfall erfährt
und Kenntnis darüber erlangt, dass er von der Erbfolge ausgeschlossen ist.
BFH, Urteil v. 5.2.2020 – II R
1/16; NWB