Die Erbschaftsteuerbefreiung für ein vererbtes Familienheim ist
rückgängig zu machen, wenn der Erbe die Selbstnutzung vor Ablauf von zehn
Jahren beendet, obwohl ihm die Selbstnutzung in dem Familienheim weder objektiv
unmöglich noch objektiv unzumutbar geworden ist. Eine depressive Erkrankung des
Erben kann die vorzeitige Beendigung der Selbstnutzung rechtfertigen, wenn die
Erkrankung so schwerwiegend ist, dass es dem Erben nicht mehr zugemutet werden
kann, in dem geerbten Familienheim weiterzuwohnen.

Hintergrund: Die Vererbung eines
Familienheims, das vom Erblasser zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden war, an
einen Ehegatten ist erbschaftsteuerfrei, sofern der Ehegatte das Familienheim
anschließend für mindestens zehn Jahre selbst zu Wohnzwecken nutzt. Beendet der
überlebende Ehegatte die Selbstnutzung innerhalb von zehn Jahren, ohne dass
hierfür zwingende Gründe vorliegen, wird die Steuerbefreiung rückgängig
gemacht.

Streitfall: Die Klägerin hatte
mit ihrem Ehemann bis zu dessen Tod im März 2017 im gemeinsamen Einfamilienhaus
gewohnt. Sie erhielt mit dem Tod des Ehemanns aufgrund eines Vermächtnisses die
ihm gehörende Hälfte des Hauses und blieb in dem Haus wohnen. Das Finanzamt
gewährte der Klägerin die Steuerbefreiung für Familienheime. Anfang 2018 zog
die Klägerin aus und verkaufte das Einfamilienhaus. Sie begründete ihren Auszug
mit einer Depression, die sich durch den Tod ihres Ehemannes verschärft habe.
Das Finanzamt machte daraufhin die Steuerbefreiung für das geerbte
Einfamilienhaus rückgängig.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) verwies die Sache an das Finanzgericht (FG) zur weiteren
Aufklärung zurück:

  • Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung lagen zunächst
    vor. Der Ehemann hatte das Einfamilienhaus zu eigenen Wohnzwecken genutzt, und
    auch die Klägerin nutzte das Einfamilienhaus nach dem Tod ihres Ehemannes zu
    eigenen Wohnzwecken.

  • Allerdings hat die Klägerin die Selbstnutzung vor Ablauf von
    zehn Jahren beendet, nämlich nach bereits einem Jahr. Dies wäre steuerlich nur
    dann unschädlich, wenn sie aus zwingenden Gründen an einer
    Selbstnutzung gehinder
    t war. Die Selbstnutzung des geerbten
    Familienheims müsste der Klägerin entweder objektiv
    unmöglich
    oder aber objektiv
    unzumutbar
    gewesen sein. Es genügt nicht, dass die Klägerin
    die Selbstnutzung in persönlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr für
    zweckmäßig hielt.

  • Ein zwingender Grund kann in dem Gesundheitszustand der
    Klägerin zu sehen sein. Ob dies der Fall ist, muss unter Heranziehung eines
    ärztlichen Gutachtens beurteilt werden. Dies muss das FG im zweiten Rechtsgang
    entscheiden und dabei feststellen, ob die Depression erst nach einer gewissen
    Zeit der Selbstnutzung aufgetreten und deutlich geworden ist.

Hinweise: Auch die
Pflegebedürftigkeit kann ein Grund sein, die Selbstnutzung des geerbten
Familienheims zu beenden und vor Ablauf von zehn Jahren auszuziehen. Allerdings
muss die Pflegebedürftigkeit dann so groß sein, dass selbst unter Heranziehung
externer Hilfe- und Pflegeleistungen von einer selbständigen Haushaltsführung
des Erben nicht mehr gesprochen werden kann.

Der schlechte bauliche Zustand eines Hauses/einer Wohnung begründet
hingegen keinen zwingenden Grund; denn bauliche Mängel können behoben bzw.
– wenn bauliche Anpassungen infolge des Gesundheitszustands des Erben
erforderlich sein sollten – den veränderten Lebensumständen angepasst
werden.

Sollte im Streitfall eine Steuerbefreiung zu bejahen sein, wäre es
unschädlich, dass die Klägerin das Haus nach der Beendigung der Selbstnutzung
verkauft hat.

Quelle: BFH, Urteil v. 1.12.2021
– II R 1/21; NWB

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