Das Oberlandesgericht (OLG)
Karlsruhe hat am 22.8.2019 in zwei Berufungsverfahren betreffend
Fahrzeuge, die mit einem bisher noch nicht verstärkt im Fokus der Gerichte
stehenden Audi-Motor ausgerüstet sind, Hinweisbeschlüsse verkündet. Es hält
eine Haftung der VW AG in Bezug auf den Motor mit der Typenbezeichnung EA897
oder EA89 6 (3,0 l, EU5-Norm) für möglich (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschlüsse v.
22.08.2019 – 17 U
257/18; Vorinstanz: Landgericht (LG) Heidelberg sowie 17 U
294/18, Vorinstanz: LG Karlsruhe).
Sachverhalt und
Verfahrensgang: Die Kläger – Käufer eines gebrauchten Audi Q5
V6 3,0 I TDI, 176 kW bzw. eines Audi A 4 3,0 l TDI, 180 kW – verlangen von der
Volkswagen AG Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung in
Höhe der bezahlten Kaufpreise gegen Rückgabe der im Jahr 2011 bzw. 2013
erworbenen Fahrzeuge.
Beide Kläger behaupten, auch die
Motorsteuerung der 3,0 Liter Motoren ihrer Fahrzeuge sei mit unzulässigen
Abschalteinrichtungen versehen. Dies führe zu einem Verstoß gegen die
Zulassungsvorschriften sowie zu überhöhten Schadstoffemissionen im
Straßenverkehr. Ein verpflichtender Rückruf von mit diesen Motoren mit der
(streitigen) Bezeichnung EA897 oder EA896 (EU5-Norm) ausgestatteten Fahrzeugen
durch das KBA liegt nicht vor. Gleichwohl hat sich der Hersteller bereit
erklärt, die betroffenen Fahrzeuge diesbezüglich durch ein Softwareupdate ab
Sommer 2016 zu optimieren.
Die Landgerichte Heidelberg und
Karlsruhe haben die Klagen gegen die Volkswagen AG jeweils abgewiesen. Nach
Auffassung des Landgerichts Heidelberg sind die Behauptungen des Klägers zum
Vorhandensein einer Abschalteinrichtung nicht hinreichend konkret, nach
Auffassung des Landgerichts Karlsruhe hat der Kläger im dortigen Verfahren
nicht nachgewiesen, dass die Volkswagen AG Herstellerin des Motors ist und bei
der behaupteten Manipulation beteiligt war.
Das OLG Karlsruhe
wies darauf hin, dass eine Haftung der Volkswagen AG in beiden Verfahren in
Betracht kommt, auch wenn sie nicht Herstellerin des jeweiligen Fahrzeugs oder
Motors ist:
Wie der 17. Zivilsenat bereits in
seinem Urteil vom 18.7.2019 – 17 U 160/18 (s. hierzu unsere Nachricht v.
27.5.2019) entschieden hat, können die Tragweite der Entscheidung über den
Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer
großen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wird, die
Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in den Volkswagenkonzern und den
ordnungsgemäßen Ablauf des Genehmigungsverfahrens sowie die in Kauf genommenen
erheblichen Folgen für die Käufer in Form der drohenden Stilllegung der
erworbenen Fahrzeuge zur Sittenwidrigkeit der Entscheidung der Volkswagen AG im
Sinne des
§ 826 BGB
führen.
Daher ist in
beiden Fällen ein Sachverständigengutachten zu der bestrittenen Behauptung
einzuholen, auch der 3,0 l Motor (EU5-Norm) enthalte eine Software, die den
Rollenprüfstand erkennt und in einen optimierten
Betriebsmodus schaltet, um so die Grenzwerte dort einzuhalten, der aber im
Straßenverkehr nicht aktiv ist.
Zu der Behauptung, die
Motorsteuersoftware enthalte eine Abschaltvorrichtung in Form eines sog.
Thermofensters, das die Abgasrückführungsquote temperaturabhängig steuere und
ebenfalls unzulässig sei, muss nach Auffassung des Senats die Volkswagen AG
noch Näheres vortragen. Denn bereits der im Rahmen der Tests der
Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr und
digitale Infrastruktur ermittelte Stickoxidwert dieses Motors war im
Straßenverkehr knapp 6,2-fach überhöht, was für ein differenziertes
Abgasmanagement spricht. Zudem hat auch diese Kommission bereits Zweifel an der
Zulässigkeit des von der Volkswagen AG nicht in Abrede gestellten
Thermofensters geäußert.
Deshalb geht der
Senat in den vorliegenden Fällen von einer Abschalteinrichtung in Form eines
Thermofensters aus. Dass eine solche Einrichtung
ausnahmsweise aus Gründen des Motorschutzes zulässig ist, muss nach Ansicht des
Senats durch die Volkswagen AG dargelegt und bewiesen werden.
Da es für die weitere Beurteilung
auf die konkrete Ausgestaltung des Thermofensters ankommt, hat die Volkswagen
AG daher detailliert darzulegen, in welchen Temperaturbereichen die
Abgasrückführung in welcher Weise angepasst wird. Sodann ist ggfs. zu der
Behauptung, diese Ausgestaltung sei zum Motorschutz notwendig und dieser nicht
anders sicherzustellen, ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Sofern das Thermofenster unzulässig
sein sollte, kann dann anhand dessen konkreter Ausgestaltung festgestellt
werden, ob es sich um einen bloßen Irrtum über die Zulässigkeit gehandelt hat
oder um ein vorsätzliches Erschleichen der EU-Typengenehmigung, das ggfs. bei
entsprechendem Wissen der Entscheidungsträger zu einer Haftung nach
§ 826 BGB
führen kann.
OLG Karlsruhe Pressemitteilung vom
22.8.2019,
NWB