Gibt das Finanzgericht (FG) einer Klage des Steuerpflichtigen gegen
einen Schenkungsteuerbescheid durch Urteil statt und führt es im Urteil aus,
dass die vom Finanzamt berücksichtigte Schenkung weder für den im Bescheid
genannten Zeitpunkt noch für einen späteren Zeitpunkt feststellbar ist, darf
das Finanzamt die Schenkungsteuer nicht noch einmal festsetzen, selbst wenn der
Schenker und der Beschenkte nach Verkündung des Urteils die Schenkung
nachträglich schriftlich fixieren. Einem erneuten Schenkungsteuerbescheid steht
nämlich die Bindungswirkung des vorausgegangenen Urteils entgegen.
Hintergrund: Ein rechtskräftiges
Urteil bindet den Steuerpflichtigen und das Finanzamt, soweit über den
Streitgegenstand entschieden worden ist.
Sachverhalt: Die Klägerin ist
eine am 13.8.2008 von der A errichtete Stiftung. Als Anfangsvermögen sicherte
die A der Klägerin ein Anfangsvermögen in Gestalt einer bestimmten Anzahl von
Aktien der TU AG zu. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der TU AG stimmten der
Abtretung der Aktien auf die Klägerin am 5.11.2008 zu. Das Finanzamt setzte im
Jahr 2011 Schenkungsteuer auf den 13.8.2008 fest; dies war der Tag der
Errichtung der Klägerin. Hiergegen klagte die Klägerin. Das FG gab der Klage
mit Urteil vom 11.11.2014 mit der Begründung statt, weder sei eine Abtretung
für den 13.8.2008 noch für einen anderen Zeitpunkt feststellbar.
Abtretungserklärungen seien nicht feststellbar; es genüge nicht, dass die
Klägerin davon ausgegangen sei, dass eine Abtretung formlos möglich sei. Der
Schenkungsteuerbescheid wurde daraufhin aufgehoben. Die Klägerin und die A
kamen anschließend überein, dass die mündliche Abtretung nachträglich fixiert
wurde. Sie hielten am 5.2.2015 schriftlich fest, dass die Abtretung der Aktien
mündlich am 1.11.2008 erfolgt sei, und erklärten schriftlich, dass die A auf
der Grundlage der Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrates der TU AG vom
5.11.2008 und in Vollziehung des Stiftungsgeschäfts vom 13.8.2008 Aktien an der
TU AG an die Klägerin abtrete. Das Finanzamt setzte daraufhin im Jahr 2015
Schenkungsteuer zum Stichtag 5.8.2008 fest. Hiergegen klagte die Klägerin und
wandte sich gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Freibeträge.
Entscheidung: Der BFH gab der
Klage statt und hob den Bescheid aus dem Jahr 2015 auf:
-
Das Finanzamt war aufgrund der Bindungswirkung des FG-Urteils
vom 11.11.2014 an einer erneuten Festsetzung der Schenkungsteuer gehindert. Mit
diesem Urteil ist nämlich die Schenkungsteuerpflicht bezüglich der Abtretung
der Aktien verneint worden. -
Das FG hatte im Urteil vom 11.11.2014 entschieden, dass eine
wirksame Abtretung nicht festgestellt werden konnte, und zwar weder für den
13.8.2008 noch für einen anderen Zeitpunkt. Dies bezieht sich auf den gesamten
Zeitraum bis zum 11.11.2014, dem Tag des Urteils. Nach Ansicht des FG hat es
also bis zum 11.11.2014 überhaupt kein wirksames Abtretungsgeschäft gegeben. -
Zwar gilt die Bindungswirkung nicht, soweit nachträglich
Tatsachen neu bekannt werden und Beweismittel eine andere Beurteilung
rechtfertigen. Die schriftliche Fixierung der Abtretung am 5.2.2015 ist aber
kein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel, da sie erst im Jahr 2015 und
damit nach der Verkündung des Urteils des FG vorgenommen wurde.
Hinweis: An sich hatte die
Klägerin nur die Berücksichtigung höherer Freibeträge begehrt. Der BFH hat aber
den gesamten Bescheid aufgehoben und ist damit über den Klageantrag der
Klägerin hinausgegangen. Dieses Hinausgehen über den Klageantrag ist möglich,
wenn der BFH zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bescheid insgesamt rechtswidrig
ist.
Aus Sicht des Finanzamts war die Entscheidung des FG unglücklich,
weil es ohne Not ausgeführt hatte, dass eine Abtretung auch für keinen anderen
Zeitpunkt als den 13.8.2008 feststellbar ist. Dies hinderte das Finanzamt an
einer erneuten Festsetzung von Schenkungsteuer für eine bis zum 11.11.2014
ausgeführte Schenkung. Für eine Schenkung, die nach dem 11.11.2014 ausgeführt
worden wäre, hätte das Finanzamt aber Schenkungsteuer festsetzen können, ohne
dass die Bindungswirkung des FG-Urteils dem entgegenstünde.
BFH, Urteil vom 19.2.2020 – II R 32/17, NWB