Tritt ein Steuerberater für einen Steuerpflichtigen gegenüber dem
Finanzamt auf, ohne dass er eine ausdrückliche Vollmacht vorlegt, wird eine
ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Steuerberaters vermutet. Dies hat zur
Folge, dass der Steuerbescheid gegenüber dem Steuerberater für seinen Mandanten
wirksam bekannt gegeben werden kann.
Hintergrund: Ein Steuerbescheid
ist grundsätzlich gegenüber dem Betroffenen bekannt zu geben, kann aber auch
gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. Mit der Bekanntgabe
wird der Bescheid wirksam.
Streitfall: Die Kläger waren
Eheleute und hatten ausländische Kapitalerträge nicht ordnungsgemäß erklärt.
Sie beauftragten den Steuerberater S im Jahr 2014, die Kapitaleinkünfte für die
Jahre 2008 bis 2011 zu erklären und die Einkommensteuererklärung für 2012 zu
erstellen. S reichte beim Finanzamt entsprechende Vollmachten der Kläger für
die „Erklärung von Einkünften 2008 bis 2011“ sowie
„Einkommensteuer 2012“ ein. Die Steuerfahndung forderte den S im
weiteren Verlauf des Verfahrens auf, die Anlagen für Kapitaleinkünfte der Jahre
2008 bis 2011 einzureichen sowie die Kapitaleinkünfte für die Jahre 2004 bis
2007 zu erklären. S reichte im September 2015 die Anlagen für die
Kapitaleinkünfte der Kläger für die Jahre 2004 bis 2011
„wunschgemäß“ beim Finanzamt ein. Das Finanzamt stellte daraufhin
dem S einen geänderten Einkommensteuerbescheid für die Kläger für 2004 mit
Postzustellungsurkunde am 21.12.2015 zu. Die Kläger hielten den Bescheid für
unwirksam.
Entscheidung: Der BFH wies die
Klage ab, da der Bescheid wirksam bekannt gegeben worden war:
-
Die Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids für 2004 an S war
gegenüber den Klägern wirksam. Denn S war Bevollmächtigter der Kläger. -
Zwar hatte S eine Vollmacht nur für die Besteuerungszeiträume
2008 bis 2012 vorgelegt. Eine Bevollmächtigung kann aber auch ohne
ausdrückliche Vollmacht vorliegen, wenn nämlich der Steuerberater für den
Steuerpflichtigen auftritt. Die Bevollmächtigung ist dann zu vermuten. -
Im Streitfall trat S auch hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2007
für die Kläger auf und übersandte in ihrem Namen Unterlagen über ausländische
Kapitalerträge an das Finanzamt. Zudem war S auch bereits für die Jahre 2008
bis 2012 unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht für die Kläger
aufgetreten. Das Finanzamt durfte daher davon ausgehen, dass die Vollmacht der
Kläger für die Jahre 2008 bis 2012 nachträglich auf die Jahre 2004 bis 2007
erweitert worden war.
Hinweise: Der Gesetzgeber regelt
seit 2017 ausdrücklich, dass bei Steuerberatern, die für einen
Steuerpflichtigen handeln, eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet wird.
Schon vor der Gesetzesregelung wurde aber – wie im Streitfall –
eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet. Der BFH macht deutlich, dass die
Gesetzesregelung die Rechtsprechungsgrundsätze lediglich verankern sollte.
Die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Bescheids am 21.12.2015 war
deshalb für das Finanzamt so wichtig, weil am 31.12.2015 Festsetzungsverjährung
für das Streitjahr 2004 eintrat. Die Kläger hatten ihre Steuererklärung für
2004 im Jahr 2005 abgegeben und die Kapitaleinkünfte hinterzogen, so dass die
Verjährungsfrist zehn Jahre betrug und am 1.1.2006 begann und am 31.12.2015
endete. Wäre die Zustellung des Bescheids unwirksam gewesen, hätte die
Bekanntgabe des Bescheids im Jahr 2016 nicht mehr nachgeholt werden können.
Quelle: BFH, Urteil v. 16.3.2022
– VIII R 19/19; NWB