Ist ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen fehlerhaft,
darf ihn das Finanzamt nicht wegen einer offenbaren Unrichtigkeit zuungunsten
des Steuerpflichtigen berichtigen, wenn unklar ist, ob der Sachbearbeiter einen
sog. mechanischen Fehler begangen hat, der eine Berichtigung wegen offenbarer
Unrichtigkeit zulassen würde, oder ob der Sachbearbeiter eine unzureichende
Sachverhaltsermittlung angestellt hat, die eine Berichtigung ausschließen
würde.

Hintergrund: Ein fehlerhafter
Steuerbescheid, der offenbar unrichtig ist, kann zugunsten oder zuungunsten des
Steuerpflichtigen berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten sind
insbesondere Schreib- und Rechenfehler, z. B. ein Zahlendreher oder ein
Übersehen einer Angabe. Inhaltliche Fehler, die auf einer fehlerhaften
Rechtsanwendung beruhen oder auf einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung,
sind jedoch keine offenbare Unrichtigkeiten.

Sachverhalt: Die Kläger waren
Eheleute. Sie erklärten in ihrer Einkommensteuererklärung 2011 negative
Beteiligungseinkünfte in Höhe von ca. 1.300 €, die die XY-Gesellschaft
betrafen. Außerdem erklärten sie einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ca.
205.000 € aus dem Verkauf einer Beteiligung an der XY-GmbH. Ihrer
Einkommensteuererklärung fügten sie eine sechsseitige Anlage bei, in der der
Veräußerungsgewinn erläutert wurde; in der Anlage fanden sich auch Hinweise auf
eine XY-GmbH. Das Finanzamt erfasste im Steuerbescheid aus dem Dezember 2012
weder die Beteiligungseinkünfte noch den Veräußerungsgewinn. Es erläuterte im
Bescheid lediglich, dass die Beteiligungseinkünfte erst dann berücksichtigt
werden würden, wenn der Gewinnfeststellungsbescheid für die XY-Gesellschaft
vorliege; der Bescheid enthielt aber keine Ausführungen zur
Nichtberücksichtigung des Veräußerungsgewinns. Im Januar 2013 änderte das
Finanzamt den Einkommensteuerbescheid für 2011 und berücksichtigte nunmehr die
Beteiligungseinkünfte, nachdem der Gewinnfeststellungsbescheid für die
XY-Gesellschaft ergangen war.

Im Oktober 2015 bemerkte das Finanzamt, dass es den erklärten
Veräußerungsgewinn nicht berücksichtigt hatte, und berichtigte den
Einkommensteuerbescheid zuungunsten der Kläger wegen einer offenbaren
Unrichtigkeit. Hiergegen wehrten sich die Kläger.

Entscheidung: Der BFH gab der
Klage statt:

  • Die Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit setzt
    einen mechanischen Fehler wie z.B. einen Rechen- oder Schreibfehler oder ein
    Übersehen voraus. Im Streitfall steht ein solcher Fehler aber nicht fest.

  • Das Finanzgericht (FG) hielt es zwar für wahrscheinlich, dass
    die Sachbearbeiterin durch ein Telefonat abgelenkt worden sei und deshalb die
    Erfassung des Veräußerungsgewinns vergessen habe. Hierfür gab es aber keine
    Anhaltspunkte. Im Verfahren vor dem FG hatte sich die Sachbearbeiterin
    schriftlich geäußert und erklärt, dass sie die sechsseitige Anlage der Kläger
    zur Einkommensteuererklärung wohl deshalb nicht zur Kenntnis genommen habe,
    weil sie gedacht habe, dass es sich um eine Erläuterung zu den
    Beteiligungseinkünften an der XY-Gesellschaft gehandelt habe. Sollte dies
    zutreffen, wäre dies keine offenbare Unrichtigkeit, weil die Sachbearbeiterin
    dann den Sachverhalt unzutreffend erfasst hätte und einen Fehler bei der
    Sachverhaltsermittlung begangen hätte. Ein solcher Ermittlungsfehler ist kein
    mechanischer Fehler.

  • Ist somit unklar, wie der Fehler zustande gekommen ist –
    durch ein bloßes Übersehen des erklärten Gewinns oder durch eine unzureichende
    Sachverhaltsermittlung –, darf das Finanzamt den Steuerbescheid nicht
    zulasten der Kläger wegen einer offenbaren Unrichtigkeit
    berichtigen.

Hinweise: Die Unklarheit über
die Entstehung des Fehlers geht nach den Regeln der Beweislast zulasten des
Finanzamts, weil es den Bescheid korrigieren wollte. Hätten die Kläger eine
Berichtigung zu ihren Gunsten begehrt, wäre die Unklarheit zu ihren Lasten
gegangen.

BFH, Urteil vom 10.3.2020 – IX R 29/18; NWB

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