Der Unternehmer kann einen Anspruch gegen das Finanzamt auf
		Erstattung derjenigen Umsatzsteuer haben, die der Unternehmer versehentlich zu
		viel an den Vertragspartner gezahlt hat und die er deshalb nicht als Vorsteuer
		geltend machen kann. Voraussetzung ist, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer
		von seinem Vertragspartner nicht zurückerhält, weil dieser insolvent ist oder
		die Einrede der Verjährung erhebt. Dieser Erstattungsanspruch nennt sich
		„Direktanspruch“ und umfasst auch eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs,
		wenn das Finanzamt die Erstattung nicht innerhalb angemessener Zeit leistet.
		
Hintergrund: Das
		Umsatzsteuersystem ist auf Neutralität angelegt und soll den Unternehmer
		finanziell nicht belasten. Die Umsatzsteuer, die der Unternehmer an seinen
		Vertragspartner zahlt, kann sich der Unternehmer daher als Vorsteuer erstatten
		lassen. Probleme ergeben sich jedoch, wenn der Unternehmer versehentlich zu
		viel Umsatzsteuer an seinen Vertragspartner zahlt, weil dieser z.B. zu Unrecht
		19 % statt 7 % in Rechnung stellt. Dem Unternehmer werden dann nämlich nur 7 %
		Vorsteuer erstattet, so dass er sich bemühen muss, die Rechnung berichtigen zu
		lassen und den Differenzbetrag von seinem Vertragspartner zu erhalten.
Sachverhalt: Der Kläger war
		Forstwirt und erwarb in den Jahren 2011 bis 2013 von anderen Unternehmern Holz,
		die ihm die Holzlieferungen mit 19 % in Rechnung stellten. Tatsächlich wäre
		aber der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 % anzuwenden gewesen. Das Finanzamt
		erkannte nach einer Außenprüfung die Vorsteuer nur zu 7 % an und erließ im Juli
		2019 entsprechend geänderte Umsatzsteuer- und Zinsbescheide. Der Kläger bemühte
		sich bei seinen Lieferanten um eine Berichtigung der Rechnungen und um eine
		Erstattung der überzahlten Umsatzsteuer. Die Lieferanten erhoben die Einrede
		der Verjährung. Der Kläger beantragte daraufhin beim Finanzamt den Erlass der
		zu viel gezahlten Umsatzsteuer. Dies lehnte das Finanzamt ab, und das
		Finanzgericht rief den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an.
Entscheidung: Der EuGH
		bestätigte einen sog. Direktanspruch des Klägers gegen das Finanzamt: 
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Ein Unternehmer kann einen direkten Anspruch gegen das
Finanzamt auf Erstattung der Umsatzsteuer, die der Unternehmer an seinen
Vertragspartner zu viel gezahlt hat, haben. Der Direktanspruch gegen das
Finanzamt ergibt sich insbesondere aus dem Grundsatz der Neutralität der
Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer), nach dem das Mehrwertsteuersystem den
Unternehmer nicht belasten darf. - 
Die Belastung des Klägers folgt daraus, dass er an seine
Lieferanten eine Umsatzsteuer von 19 % – und damit überhöht – gezahlt hat, er
aber nur 7 % als Vorsteuer geltend machen kann. Diesen Differenzbetrag erhält
der Kläger von seinen Vertragspartnern nicht zurück, weil diese die Einrede der
Verjährung geltend gemacht haben. - 
Der Direktanspruch ist ausgeschlossen, wenn dem Unternehmer
Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Hierfür gibt es im
Streitfall aber keine Anhaltspunkte. 
Hinweise: Die abschließende Entscheidung muss nun das Finanzgericht
		Münster treffen, welches den EuGH angerufen hat. Sollte es sich der Auffassung
		des EuGH anschließen, wird der Direktanspruch im Rahmen einer
		Billigkeitsmaßnahme wie z.B. eines Steuererlasses oder einer
		Billigkeitsfestsetzung umgesetzt.
Nach dem aktuellen EuGH-Urteil umfasst der Direktanspruch auch die
		Zahlung von Verzugszinsen, wenn das Finanzamt die Erstattung der Umsatzsteuer
		nicht innerhalb einer angemessenen Frist vornimmt. Der EuGH hat sich jedoch
		nicht zur Dauer einer angemessenen Frist geäußert. 
Der EuGH bestätigt mit seiner aktuellen Entscheidung den
		Direktanspruch des Unternehmers. Dieser Anspruch wirkt sich zugunsten des
		Unternehmers aus, wenn er die Umsatzsteuer, die er an seine Vertragspartner
		gezahlt hat, nicht in vollem Umfang als Vorsteuer geltend machen kann, weil sie
		in der Rechnung überhöht ausgewiesen worden war, und weil sein Vertragspartner
		entweder zahlungsunfähig ist oder aber die Einrede der Verjährung erhebt.
		
Quelle: EuGH, Urteil vom
		7.9.2023 – C-453/22 „Schütte“; NWB
					