Der Bundesfinanzhof (BFH) bejaht faktisch einen Anspruch auf
Akteneinsicht in Kindergeldakten. Zwar hat der Kindergeldberechtigte bzw.
dessen Vertreter nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung; die
Familienkasse muss aber zugunsten des Antragstellers berücksichtigen, dass sich
im Kindergeldrecht seltener schützenswerte Informationen Dritter in den Akten
befinden und dass Kindergeldakten häufiger elektronisch geführt und daher
besser vor einem Verlust geschützt sind als Papierakten, die bei einer
Akteneinsicht übersendet werden.

Hintergrund: Für die Festsetzung
von Kindergeld gilt grundsätzlich das gleiche Verfahrensrecht wie für die
Festsetzung von Steuern. Das Verfahrensrecht sieht für das Einspruchsverfahren
keinen ausdrücklichen Anspruch auf Akteneinsicht vor.

Sachverhalt: Der Anwalt der
Klägerin beantragte bei der Familienkasse Einsicht in die Kindergeldakte.
Diesen Antrag lehnte die Familienkasse ab. Hiergegen legte die Klägerin
Einspruch ein und klagte anschließend. Erst im Revisionsverfahren vor dem BFH
erhielt sie die Akteneinsicht, so dass der BFH nur noch über die
Verfahrenskosten entscheiden musste.

Entscheidung: Der BFH gab der
Klägerin Recht und legte die Verfahrenskosten der Familienkasse auf:

  • Zwar gibt es im steuerlichen Verfahrensrecht, das auch für das
    Kindergeld gilt, keinen gesetzlichen Anspruch auf Akteneinsicht. Aber es gibt
    einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf
    Akteneinsicht. Die Familienkasse muss daher die Interessen des
    Kindergeldberechtigten und die der Behörde gegeneinander abwägen.

  • Diese Abwägung wird im Kindergeld eher zugunsten des
    Antragstellers ausfallen. Denn anders als in Steuerakten finden sich in
    Kindergeldakten seltener Hinweise auf Dritte oder Informationen über Dritte,
    z.B. Kontrollmitteilungen oder Prüfhinweise. Damit fällt auch der
    Verwaltungsaufwand für die Prüfung des Akteneinsichtsantrags geringer aus.
    Zudem sind die Kindergeldakten, die in elektronischer Form geführt werden,
    leichter zu kopieren, so dass die Behörde trotz Akteneinsicht mit der Akte
    weiterarbeiten kann; außerdem gibt es keinen Aufwand für die Übersendung und
    kein Verlustrisiko.

  • Im Streitfall hat die Familienkasse zu Unrecht angenommen,
    dass die Klägerin von vornherein kein Interesse an einer Akteneinsicht haben
    könne. Tatsächlich überwogen die Belange der Klägerin die Interessen der
    Familienkasse deutlich; denn die Klägerin war der deutschen Sprache nur
    begrenzt mächtig, benötigte Unterlagen und musste Anwälte beauftragen. Damit
    bestand ein Anspruch auf Akteneinsicht, weil das Ermessen der Behörde auf Null
    reduziert, d.h. keine andere Entscheidung mehr möglich war als eine
    Entscheidung zugunsten der Klägerin.

Hinweise: Der BFH sah es als
unbeachtlich an, dass die Familienkasse nach eigenen Angaben bereits
bestandskräftig über den Kindergeldanspruch der Klägerin entschieden hatte.
Denn zum einen hatte die Familienkasse die Daten der entsprechenden Bescheide
und die Bewilligungszeiträume nicht genannt, so dass die Überprüfung der
Bestandskraft nicht uneingeschränkt möglich war. Zum anderen können
bestandskräftige Bescheide auch geändert werden, wenn eine Korrekturvorschrift
dies zulässt.

Das Urteil betrifft die Akteneinsicht im Kindergeldrecht vor Beginn
eines Klageverfahrens. Auf das allgemeine Steuerrecht lässt sich das Urteil
nicht übertragen, weil hier viel häufiger Interessen Dritter betroffen sind,
wenn Akteneinsicht genommen wird, z.B. Informationsgeber, Mitgesellschafter,
Vertragspartner etc.

Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber erst im Klageverfahren einen
Anspruch auf Akteneinsicht gewährt. Dieser Anspruch gilt sowohl für das
Steuerrecht als auch für das Kindergeldrecht.

Der BFH ließ offen, ob die Klägerin auch noch einen Anspruch auf
Akteneinsicht nach der Datenschutzgrundverordnung hatte.

BFH, Urteil vom 3.11.2020 – III R 59/19; NWB

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