Ein Steuerbescheid, der wegen eines anhängigen Verfahrens beim
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorläufig ergeht und in dem die
verfassungsrechtlich umstrittene Norm jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen
nicht angewendet wird, darf nicht mehr zuungunsten des Steuerpflichtigen
geändert werden, wenn das BVerfG die Norm, wegen deren Verfassungsvereinbarkeit
es angerufen worden ist, für verfassungsgemäß erklärt.

Hintergrund: Bescheide können
vorläufig ergehen, wenn die Voraussetzungen der Entstehung der Steuer ungewiss
sind. Eine derartige Ungewissheit besteht z.B., wenn eine Norm, die im
Streitfall relevant ist, vom BVerfG geprüft wird. Der Bescheid kann dann
vorläufig ergehen, so dass der Ausgang des Verfahrens beim BVerfG abgewartet
werden kann. Grundsätzlich kann ein vorläufiger Bescheid geändert werden,
soweit die Vorläufigkeit reicht.

Sachverhalt: Die Klägerin
schloss zunächst eine dreimonatige Ausbildung als Rettungssanitäterin ab.
Anschließend studierte sie von 2011 bis 2016 Medizin. In den Streitjahren 2015
und 2016 machte sie die Studienkosten als Ausbildungskosten für eine
Zweitausbildung geltend. Zum 1.1.2015 hatte der Gesetzgeber jedoch das Gesetz
geändert und verlangte für die Anerkennung der Kosten einer Zweitausbildung
u.a., dass eine Erstausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten absolviert
wurde. Das Finanzamt erkannte gleichwohl die Kosten für das Medizinstudium als
Kosten für eine Zweitausbildung an, erließ den Bescheid allerdings vorläufig,
weil beim BVerfG die Frage geklärt werden sollte, ob die Neuregelung
verfassungsgemäß ist. Im Jahr 2019 bestätigte das BVerfG die
Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung. Daraufhin änderte das Finanzamt die
Steuerbescheide für 2015 und 2016 unter Hinweis auf die Vorläufigkeit und
erkannte die Kosten für das Medizinstudium nun nicht mehr an.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:

  • Zwar kann ein vorläufiger Bescheid grundsätzlich geändert
    werden, soweit die Vorläufigkeit reicht.

  • Bezieht sich die Vorläufigkeit aber auf ein anhängiges
    Verfahren beim BVerfG, darf der Bescheid nur geändert werden, soweit das BVerfG
    die Norm für verfassungswidrig hält. Das Finanzamt darf dann den Bescheid
    zugunsten des Steuerpflichtigen ändern und die für verfassungswidrig erklärte
    Norm nicht mehr anwenden.

  • Hält das BVerfG die Norm – hier: die Neuregelung, nach
    der eine steuerlich zu berücksichtigende Zweitausbildung nur dann vorliegt,
    wenn die Erstausbildung mindestens 12 Monate gedauert hat – aber für
    verfassungsgemäß, besteht keine Änderungsmöglichkeit. Vielmehr ist der
    Vorläufigkeitsvermerk aufzuheben und der Bescheid für endgültig zu erklären.

  • Im Streitfall hat das BVerfG die Neuregelung als
    verfassungsgemäß angesehen. Damit war eine Änderung des vorläufigen Bescheids
    zuungunsten der Klägerin ausgeschlossen.

Hinweise: Weitere
Korrekturvorschriften waren nicht einschlägig.

Das Finanzamt hat den Fehler gemacht, die Neuregelung nicht
anzuwenden und den Ausgang des Verfahrens beim BVerfG abzuwarten. Das Finanzamt
hätte vielmehr die Neuregelung anwenden müssen und die Kosten für das
Medizinstudium nicht mehr anerkennen dürfen, da die Rettungssanitäterausbildung
nur drei Monate, nicht aber mindestens 12 Monate gedauert hat. Es hätte
gleichwohl den Bescheid für vorläufig erklären dürfen. Eine Änderung des
Bescheids wäre aber nur dann in Betracht gekommen, wenn das BVerfG die
Neuregelung als verfassungswidrig angesehen hätte; der Bescheid hätte dann
zugunsten der Klägerin geändert werden müssen.

Quelle: BFH, Urteil vom 29.4.2025 – VI R 14/23;
NWB

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