Trägt ein Grundstückseigentümer
konkrete Umstände vor, nach denen der im Rahmen der Grundsteuerreform
festgestellte Grundsteuerwert den Wert seines Grundstücks erheblich
überschreiten und ein entsprechender Nachweis durch ein
Sachverständigengutachten geführt werden könnte, ist Aussetzung der Vollziehung
des Grundsteuerwertbescheids zu gewähren.

Hintergrund: Im Rahmen
der Grundsteuerreform werden ca. 36 Mio. Grundstücke neu bewertet. Die
Bewertung erfolgt schematisch anhand der Bodenrichtwerte, einer fingierten
Restnutzungsdauer und eines typisierten Reinertrags. Der Nachweis eines
niedrigeren Wertes durch Vorlage eines Gutachtens ist nicht vorgesehen. In
vielen Bundesländern wird das sog.
Bundesmodell angewendet, das auch im
Streitfall relevant war.

Sachverhalt: Der
Steuerpflichtige besaß ein ca. 350 qm großes Grundstück in Rheinland-Pfalz, das
mit einem Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 72 qm bebaut war. Das
Baujahr des Einfamilienhauses war 1880; seit der Errichtung waren keine
wesentlichen Renovierungen mehr vorgenommen. Das Finanzamt stellte den
Grundsteuerwert zum 1.1.2022 auf ca. 91.000 € fest. Hiergegen legte der
Steuerpflichtige Einspruch ein und beantragte unter Hinweis auf das Baujahr und
den Zustand des Hauses die Aussetzung der Vollziehung, die das Finanzamt
ablehnte.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt:

  • Es bestehen ernstliche Zweifel
    an der Rechtmäßigkeit des Grundsteuerwertes. Denn die Vorschriften über die
    Bewertung von Grundstücken müssen verfassungskonform ausgelegt werden und dem
    Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden, einen
    niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks nachzuweisen
    . Zwar
    ist nach der Grundsteuerreform der Nachweis eines niedrigeren Grundsteuerwertes
    nicht vorgesehen; ein solcher Nachweis, z.B. durch ein
    Sachverständigengutachten, muss aber verfassungsrechtlich möglich sein, um eine
    Übermaßbesteuerung zu vermeiden.

  • Zwar hat der Gesetzgeber
    angesichts der großen Anzahl zu bewertender Grundstücke einen großen
    Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Allerdings darf es nicht zu einer
    verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung
    kommen.

  • Der Steuerpflichtige hat im
    Streitfall Umstände vorgetragen, nach denen der Nachweis eines niedrigeren
    Grundstückswertes gelingen könnte. Hierfür sprechen das Baujahr des Hauses und
    die seit 1880 unterbliebenen Renovierungen. Es ist daher vorstellbar, dass das
    Grundstück nur mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten bewertet
    werden könnte. Es bestehen Zweifel, dass sich mit dem Gebäude die gesetzlich
    typisierten Mieterträge erzielen lassen, die im Streitfall mit jährlich 3.635
    € angesetzt wurden.

Hinweise: Der
Steuerpflichtige hat im Streitfall kein Sachverständigengutachten vorgelegt.
Für die Aussetzung der Vollziehung genügt es, dass er Umstände vorgetragen hat,
die es möglich erscheinen lassen, dass ein Sachverständigengutachten zu einem
niedrigeren gemeinen Wert gelangt. In seiner bisherigen Rechtsprechung geht der
BFH von einem Verstoß gegen das Übermaßverbot aus, wenn der vom Finanzamt
festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren Wert (sog. gemeinen Wert) um
40 % oder mehr übersteigt.

Die Aussetzung der Vollziehung des
angefochtenen Grundsteuerwertbescheids führt im Ergebnis dazu, dass
im vorliegenden Fall im Umfang der
Aussetzung zunächst keine Grundsteuer gezahlt werden muss. Die Aussetzung der
Vollziehung ist jedoch nur eine vorläufige Entscheidung; die endgültige
Entscheidung wird im Klageverfahren gegen den Grundsteuerwertbescheid
getroffen.

Der aktuelle Beschluss betrifft das
sog. Bundesmodell, das in der Mehrzahl der Bundesländer anwendbar ist. Einige
Bundesländer (u.a. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und
Niedersachsen) haben von der gesetzlichen Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und
wenden das Bundesmodell nicht an. Der BFH hat sich nicht dazu geäußert, ob sich
seine aktuellen Ausführungen auch auf die Ermittlung des Grundsteuerwerts in
diesen Bundesländern übertragen lassen.

Quelle: BFH, Beschluss vom
27.5.2024 – II B 78/23 (AdV); NWB

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