Die Ablehnung eines Erlassantrags durch eine sachlich unzuständige
Behörde ist rechtswidrig und kann nicht dadurch geheilt werden, dass die
sachlich und örtlich zuständige Behörde über den Einspruch gegen den
Ablehnungsbescheid entscheidet. Vielmehr muss die sachlich und örtlich
zuständige Behörde den Ablehnungsbescheid aufheben und selbst über den
Erlassantrag entscheiden. Sollte sie den Erlassantrag ablehnen, kann der
Antragsteller hiergegen Einspruch einlegen.
Hintergrund: Bei der
Zuständigkeit wird zwischen der örtlichen und der sachlichen
Zuständigkeit unterschieden. Bei der örtlichen Zuständigkeit
geht es um die Frage, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden tätig
werden darf, z.B. welches von mehreren Finanzämtern eines Bundeslandes die
Einkommensteuer festsetzen darf. Bei der sachlichen Zuständigkeit geht es
hingegen um die Frage, für welche Aufgaben eine Behörde überhaupt zuständig
ist; so darf z.B. das Finanzministerium keinen Steuerbescheid
erlassen.
Sachverhalt: Die Klägerin musste
Kindergeld an die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen zurückzahlen, weil ihr
Kind die Ausbildung vorzeitig beendet hatte. Sie beantragte den Erlass der
Rückzahlungsverpflichtung. Hierüber entschied der sog. Inkasso-Service
Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit in Recklinghausen, der von der
Bundesagentur in Arbeit für das Inkasso und Erlassanträge eingerichtet worden
war. Der Inkasso-Service lehnte den Erlassantrag weitgehend ab. Hiergegen legte
die Klägerin Einspruch ein, den die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen
zurückwies. Hiergegen klagte die Klägerin.
Entscheidung: Der BFH gab der
Klägerin im Grundsatz Recht und hob den Ablehnungsbescheid des Inkasso-Service
auf:
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Der Inkasso-Service Familienkasse war für die Entscheidung
über den Erlassantrag sachlich unzuständig. Er war nicht die ursprünglich
zuständige Behörde, da dies die Familienkasse in Nordrhein-Westfalen war. Die
Bundesagentur für Arbeit als Bundesbehörde war nicht berechtigt, die Aufgaben
des Erhebungsverfahrens bundesweit bei der Inkasso-Service Familienkasse zu
konzentrieren. -
Der Fehler bei der sachlichen Zuständigkeit konnte nicht durch
die Einspruchsentscheidung der sachlich und örtlich zuständigen Familienkasse
in Nordrhein-Westfalen geheilt werden. Denn eine derartige Heilung ist nur bei
Fehlern in der örtlichen Zuständigkeit möglich, nicht aber bei Fehlern in der
sachlichen Zuständigkeit. -
Eine Heilung des Fehlers ist nur in der Weise möglich, dass
die sachlich und örtlich zuständige Familienkasse in Nordrhein-Westfalen als
Einspruchsbehörde den rechtswidrigen Ablehnungsbescheid der Inkasso-Service
Familienkasse aufhebt und nun selbst über den Erlassantrag entscheidet. Lehnt
sie den Antrag ab, kann die Klägerin hiergegen Einspruch einlegen.
Hinweise: Der BFH hat bereits in
der jüngeren Vergangenheit entschieden, dass die Übertragung der Aufgaben des
Erhebungsverfahrens im Kindergeldrecht (Vollstreckung, Erlassanträge,
Stundungsanträge) auf den Inkasso-Service Familienkasse rechtswidrig war.
Hierfür fehlte nämlich eine gesetzliche Grundlage.
Das aktuelle Urteil zeigt nun auf, wie mit rechtswidrigen
Ablehnungsbescheiden umzugehen ist: Sie müssen im Einspruchsverfahren
aufgehoben werden, um anschließend eine erneute Entscheidung über den
Erlassantrag zu ermöglichen.
Im Streitfall ist der Ablehnungsbescheid durch den BFH, der die
Vorinstanz bestätigt hat, aufgehoben worden, so dass die Familienkasse in
Nordrhein-Westfalen über den Erlassantrag entscheiden muss.
Quelle: BFH, Urteil v. 19.1.2023 – III R 2/22;
NWB