Bei einer unangemessen langen Dauer eines Finanzgerichtsverfahrens
kann der Kläger eine Entschädigung von 100 € pro Verzögerungsmonat
geltend machen. Ist neben dem Klageverfahren auch ein
Prozesskostenhilfeverfahren anhängig, kann die Bearbeitung des
Prozesskostenhilfeverfahrens eine verfahrensfördernde Maßnahme im
Klageverfahren darstellen, wenn die Bearbeitung des
Prozesskostenhilfeverfahrens eine verfahrensbeendende Zielrichtung hat, indem
sich das Gericht zu den Erfolgsaussichten der Klage äußert.
Hintergrund: Dauert ein
Gerichtsverfahren unangemessen lange, steht dem Verfahrensbeteiligten
grundsätzlich eine Entschädigung von 100 € zu. Hierfür ist unter anderem
erforderlich, dass der Kläger eine sog. Verzögerungsrüge erhebt.
Streitfall: Bei dem Kläger war
eine Außenprüfung durchgeführt worden, die zu Mehrsteuern geführt hatte. Da der
Kläger die entsprechenden Mehrsteuern, die sich aufgrund der Außenprüfung
ergeben hatten, zu spät gezahlt hatte, waren Säumniszuschläge in Höhe von ca.
52.000 € entstanden. Der Kläger beantragte den Erlass der
Säumniszuschläge und erhob im November 2016 Klage gegen den Ablehnungsbescheid.
Außerdem beantragte er im Dezember 2016 Prozesskostenhilfe für das
Klageverfahren. Parallel hierzu führte er noch ein weiteres Klageverfahren
gegen die Änderungsbescheide, die aufgrund der Außenprüfung ergangen waren.
Dieses Klageverfahren gegen die Änderungsbescheide wurde im November 2019
abgeschlossen. Im Klageverfahren, das auf Erlass der Säumniszuschläge gerichtet
war, erhob der Kläger im Februar 2018 eine Verzögerungsrüge. Im März 2020
bewilligte das Finanzgericht (FG) Prozesskostenhilfe. Im April 2020 wurde eine
Mediation beim FG durchgeführt, die allerdings erfolglos blieb. Im Mai 2020 lud
das FG zu einem Erörterungstermin im Juli 2020, der dann auch zu einer
Hauptsacheerledigung führte, da das Finanzamt zusagte, über den Erlassantrag
neu zu bescheiden. Der Kläger erhob nun Klage auf Entschädigung in Höhe von
1.800 € beim Bundesfinanzhof (BFH).
Entscheidung: Der BFH sprach dem
Kläger eine Entschädigung in Höhe von 1.500 € zu und ging von einer
15-monatigen Verzögerung im Zeitraum Dezember 2018 bis Februar 2020
aus:
-
Im Finanzgerichtsverfahren genügt es grundsätzlich, wenn ein
Fall, der nicht überdurchschnittlich schwer ist und keine besondere
Eilbedürftigkeit für den Kläger aufweist, nach zwei Jahren geladen wird. Das
Verfahren des Klägers war durchschnittlich schwierig, zumal es Bezüge zum
Parallelverfahren, in dem es um die Änderungsbescheide, die aufgrund der
Außenprüfung ergangen waren, aufwies. Das Verfahren hatte auch keine
überdurchschnittliche Bedeutung für den Kläger, da er die Säumniszuschläge
schon bezahlt hatte. -
Da der Kläger die Klage im November 2016 eingereicht hatte,
begann Anfang Dezember 2018 die Phase, in der auf eine Entscheidung hin hätte
gearbeitet werden sollen. Dies ist nicht geschehen, sondern es ist bis Februar
2020 nichts geschehen, was auf eine Entscheidung gerichtet war. -
Erst im März 2020 beschloss das FG die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe. In diesem Beschluss hat sich das FG mit den
Erfolgsaussichten der Klage beschäftigt, so dass in dem Beschluss eine
Förderung des Klageverfahrens mit verfahrensbeendender Zielrichtung zu sehen
ist. Auch anschließend bemühte sich das FG um eine Verfahrensbeendigung, indem
es für das Verfahren eine Mediation versucht hat und im Mai zu einem
Erörterungstermin geladen hat, der den Rechtsstreit erledigte.
Hinweise: Für die 15-monatige
Verzögerung erhielt der Kläger insgesamt 1.500 €, nämlich 100 €
für jeden Monat. Unbeachtlich war, dass er auch für Verzögerungen im
Parallelverfahren, das sich gegen die Änderungsbescheide richtete, eine
Entschädigung erhalten hatte; denn jedes Verfahren wird gesondert betrachtet.
In bestimmten Fällen kann statt einer Entschädigung auch lediglich
die Feststellung ausgesprochen werden, dass das Verfahren unangemessen lange
gedauert hat, z.B. dann, wenn das Verfahren für den Kläger keine besondere
Bedeutung hat oder er durch sein Verhalten auch erheblich zur Verzögerung
beigetragen hat. Im Hinblick auf den Umfang des Erlassantrags, der auf einen
Erlass von 50.000 € gerichtet war, lagen diese Voraussetzungen aber
nicht vor, zumal der Kläger nicht zur Verzögerung beigetragen hatte.
Quelle: BFH, Urteil v. 23.3.2022
– X K 6/20; NWB