Hat das Finanzamt eine Leistung des
bilanzierenden Unternehmers zu Unrecht als umsatzsteuerpflichtig angesehen,
zugleich aber eine entsprechende Umsatzsteuerverbindlichkeit gewinnmindernd in
der Bilanz berücksichtigt und hat der Einspruch des Unternehmers gegen den
Umsatzsteuerbescheid Erfolg, darf das Finanzamt den Ertragsteuerbescheid
zuungunsten des Unternehmers ändern, indem es die Umsatzsteuerverbindlichkeit
nicht mehr berücksichtigt.
Hintergrund: Wird
aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid
erlassen, aber anschließend mit Erfolg angefochten, kann das Finanzamt aus dem
Sachverhalt nachträglich die richtigen steuerlichen Folgen ziehen und einen
entsprechenden Steuerbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern oder
erlassen.
Streitfall: Die Klägerin
war eine GmbH und gab in den Streitjahren 2011 und 2012 elektronische
Versicherungsbestätigungen für die Zulassung von Fahrzeugen an andere
Unternehmer weiter. Sie behandelte dies umsatzsteuerfrei. Im Rahmen einer
Außenprüfung gelangte das Finanzamt zur Umsatzsteuerpflicht. Es erhöhte daher
im Mai 2014 die Umsatzsteuer für 2011 und 2012, minderte aber im Gegenzug den
Gewinn beider Jahre, indem es jeweils eine Umsatzsteuerverbindlichkeit
berücksichtigte. Die Klägerin wehrte sich gegen die
Umsatzsteueränderungsbescheide für 2011 und 2012 und hatte im
Einspruchsverfahren im April 2016 Erfolg. Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer
für 2011 und 2012 wieder herab, machte aber im Juli 2016 die Gewinnminderung in
Gestalt der Umsatzsteuerverbindlichkeiten für 2011 und 2012 wieder rückgängig.
Die Klägerin klagte gegen die geänderten Körperschaftsteuerbescheide.
Entscheidung: Der BFH
hielt die Änderung der Körperschaftsteuerbescheide im Juli 2016 für rechtmäßig:
-
Nach dem Gesetz kann das
Finanzamt aus einer zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgten Änderung oder
Aufhebung des Bescheids verfahrensrechtliche Folgen ziehen. Auf diese Weise
soll der Steuerpflichtige im Fall des Obsiegens an seiner Auffassung
festgehalten werden, soweit es um denselben Sachverhalt geht. -
Die irrige Beurteilung des
Sachverhalts lag in der Annahme, dass die Weitergabe der elektronischen
Versicherungsbestätigungen umsatzsteuerpflichtig ist. Diese Annahme war
fehlerhaft und wurde umsatzsteuerlich korrigiert. Eine irrige Beurteilung
dieses Sachverhalts erfolgte auch in den Körperschaftsteuerbescheiden, weil das
Finanzamt zu Unrecht Umsatzsteuerverbindlichkeiten angenommen hatte. -
Nachdem die irrige
Sachverhaltsbeurteilung in den Umsatzsteuerbescheiden aufgrund des Einspruchs
der Klägerin rückgängig gemacht worden war, und zwar zugunsten der Klägerin,
durfte das Finanzamt anschließend die irrige Beurteilung desselben Sachverhalts
in den Körperschaftsteuerbescheiden rückgängig machen, nun aber zuungunsten der
Klägerin; daher durfte das Finanzamt die Gewinnminderungen, die aufgrund der
Passivierung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten eingetreten waren, rückgängig
machen.
Hinweise: Die im Urteil
geschilderte Problematik gehört zum Bereich der sog. widerstreitenden
Steuerfestsetzung. Hat der Steuerpflichtige mit einem Einspruch oder einer
Klage Erfolg, soll das Finanzamt auf der Grundlage der Argumentation des
Steuerpflichtigen nunmehr andere Bescheide ändern können. Dies können –
wie im Streitfall – auch Bescheide einer anderen Steuerart sein. Für die
Änderung hat das Finanzamt grundsätzlich ein Jahr Zeit, auch wenn an sich
bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Ein typisches Beispiel für eine
solche Änderung ergibt sich z. B. dann, wenn der Steuerpflichtige gegen den
Einkommensteuerbescheid für 2020 Einspruch einlegt und nachweist, dass er eine
im Bescheid für 2020 erfasste Einnahme bereits im Jahr 2019 erhalten habe. Der
Bescheid für 2020 wird dann zu seinen Gunsten geändert, aber das Finanzamt kann
anschließend den Bescheid für 2019 zuungunsten des Klägers ändern und nunmehr
die Einnahme bei der Steuerfestsetzung 2019 berücksichtigen. Dies kann auch zu
höheren Nachzahlungszinsen führen.
Quelle: BFH, Urteil v.
17.3.2022 – XI R 5/19; NWB