Bei der Ermittlung der
Haftungsquote im Rahmen einer Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers durch
Haftungsbescheid ist eine zurückzuzahlende Corona-Soforthilfe nicht zu
berücksichtigen. Denn dieser Betrag war zweckgebunden und durfte nicht für die
Bezahlung von Steuerschulden verwendet wurden.
Hintergrund: Der
Geschäftsführer einer GmbH oder UG haftet für die Steuerschulden der
Gesellschaften, wenn die Gesellschaft ihre Steuerschulden nicht bezahlt. Er
kann dann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dabei gilt der
Grundsatz der anteiligen Tilgung: Der Geschäftsführer haftet also nur in dem
Umfang, in dem dritte Gläubiger befriedigt wurden. Das Finanzamt soll nämlich
nicht besser gestellt werden als dritte Gläubiger.
Sachverhalt: Die
Antragstellerin war Geschäftsführerin einer UG, die nach den Feststellungen des
Außenprüfers in den Jahren 2016 bis 2018 verdeckte Gewinnausschüttungen an die
Antragstellerin in Gestalt überhöhter Gehaltszahlungen geleistet hatte. Das
Finanzamt setzte daraufhin im Juli 2020 Körperschaftsteuer und
Gewerbesteuermessbeträge für die Jahre 2016 bis 2018 gegenüber der UG fest, die
diese nicht bezahlte. Vielmehr wurde am 24.3.2021 über das Vermögen der UG das
Insolvenzverfahren eröffnet. Die UG hatte am 1.4.2020 eine Corona-Soforthilfe
i. H. von 9.000 € erhalten und hiervon am 28.12.2020 einen Teilbetrag in
Höhe von 2.338 € zurückzahlen müssen, da dieser Teilbetrag über den
Fixkosten lag. Das Finanzamt erließ gegenüber der Antragstellerin einen
Haftungsbescheid für den Zeitraum vom 17.8.2020 bis zum 24.3.2021 und setzte
eine Tilgungsquote von ca. 62 % an; dabei berücksichtigte es sowohl bei der
Ermittlung der zu tilgenden Verbindlichkeiten als auch bei den getilgten
Verbindlichkeiten die zurückzuzahlende Corona-Soforthilfe in Höhe von 2.338
€.
Entscheidung: Das
Finanzgericht Münster (FG) gab dem Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung
der Vollziehung des Haftungsbescheides weitgehend statt:
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Zwar lagen die Voraussetzungen
für eine Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid dem Grunde nach vor. Die
Antragstellerin war Geschäftsführerin der UG und damit verantwortlich für die
Bezahlung der betrieblichen Steuern der UG; diese Pflicht hat sie verletzt. Die
Steuern waren aufgrund der Außenprüfung festgesetzt worden, und die
Antragstellerin kann nicht geltend machen, dass die Steuern zu hoch sind; denn
als Geschäftsführerin hätte sie gegen die Steuerfestsetzungen Einspruch
einlegen und Klage erheben können. -
Die Haftung ist nach dem
Grundsatz der anteiligen Tilgung aber auf die Quote beschränkt, in der die UG
die Forderungen dritter Gläubiger getilgt hat. Diese Quote betrug nicht ca. 62
%, sondern gerundet nur 35 %. Entgegen der Auffassung des Finanzamts kann
nämlich der zurückzuzahlende Teilbetrag der Corona-Soforthilfe weder bei der
Ermittlung der zu tilgenden Verbindlichkeiten noch bei der Ermittlung der
bezahlten Verbindlichkeiten berücksichtigt werden. Dieser Betrag war nämlich
zweckgebunden und nicht pfändbar. Er durfte daher nicht für die Bezahlung der
Steuerschulden verwendet werden. -
Statt einer Haftungsschuld in
Höhe von ca. 5.400 € ergab sich somit nur eine Haftungsschuld von 1.700
€, so dass bezüglich des Differenzbetrags die Vollziehung auszusetzen
war. Die Antragstellerin konnte sich hinsichtlich der Haftungsschuld von 1.700
€ nicht darauf berufen, dass sie aufgrund der coronabedingten
Gesetzesänderungen nicht zu einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
verpflichtet war; denn die Pflicht zur vollständigen und pünktlichen
Steuerzahlung wurde durch diese Neuregelungen nicht aufgehoben.
Hinweise: Es handelt sich
um einen Beschluss im einstweiligen Rechtsschutz, also nicht um eine endgültige
Entscheidung. Voraussichtlich wird es künftig noch weitere Rechtsstreitigkeiten
in diesem Bereich geben, wenn die Unternehmen aufgrund der Corona-Krise in
Insolvenz gehen und der Geschäftsführer für die Steuerschulden in Anspruch
genommen werden soll. Hier kann es sich empfehlen, die Ermittlung der
Tilgungsquote auch daraufhin zu überprüfen, ob das Finanzamt zweckgebundene
Corona-Hilfen berücksichtigt hat, die nicht für die Bezahlung von
Steuerschulden verwendet werden durften.
Der Grundsatz der anteiligen
Tilgung gilt nicht bei der Lohnsteuer. Hier kann der Geschäftsführer durchaus
für die gesamte Lohnsteuer der GmbH bzw. UG in Anspruch genommen werden. Der
Grund liegt darin, dass die GmbH als Arbeitgeberin die Lohnsteuer
treuhänderisch für den Arbeitnehmer abführen muss.
FG Münster, Beschluss v. 15.10.2021
– 9 V 2341/21 K; NWB