Eine für die Entlastung von Kapitalertragsteuer erforderliche
unmittelbare Beteiligung einer Muttergesellschaft an der ausschüttenden
Tochtergesellschaft besteht auch dann, wenn die Muttergesellschaft über eine
vermögensverwaltende Personengesellschaft an der Tochtergesellschaft beteiligt
ist. Denn steuerlich wird eine vermögensverwaltende Personengesellschaft nach
der sog. Bruchteilsbetrachtung hinweggedacht.

Hintergrund: Eine
Kapitalgesellschaft muss bei Ausschüttungen grundsätzlich Kapitalertragsteuer
von 25 % einbehalten und an das Finanzamt abführen. Ist der Anteilseigner eine
Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland
hat, wird die Kapitalertragsteuer unter weiteren bestimmten Voraussetzungen auf
Antrag nicht erhoben.

Sachverhalt: Die Klägerin war
eine in den Niederlanden ansässige Genossenschaft. Sie war seit 2013 mit
mindestens 10 % an der vermögensverwaltenden X-GbR, einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts, beteiligt; vermögensverwaltend bedeutet, dass die X-GbR
keine Gewinneinkünfte (z.B. aus Gewerbebetrieb) erzielte, sondern sog.
Überschusseinkünfte, z.B. aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und
Verpachtung.

Die X-GbR war zu 100 % an der inländischen Y-AG beteiligt. Die
Y-AG tätigte im Jahr 2014 eine Gewinnausschüttung und behielt eine
Kapitalertragsteuer von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 %
ein. Die Klägerin beantragte daraufhin die vollständige Freistellung und
Erstattung der Kapitalertragsteuer. Das Finanzamt gab diesem Antrag nur
teilweise, nämlich in Höhe von 10 %, statt und stützte diese Freistellung bzw.
Erstattung auf das deutsch-niederländische Doppelbesteuerungsabkommen. Die
Klägerin machte den verbleibenden Betrag im Klageweg geltend.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage statt:

  • Die Klägerin und die Y-AG erfüllten die gesetzlichen
    Anforderungen an die Freistellung. Die Klägerin hatte weder ihren Sitz noch
    ihre Geschäftsleitung im Inland, und die Beteiligung bestand ununterbrochen
    zwölf Monate. Außerdem handelte es sich nicht um Erträge, die der Klägerin
    anlässlich der Liquidation oder Umwandlung der Y-AG zuflossen.

  • Auch die streitige Voraussetzung erfüllte die Klägerin: Sie
    war nämlich zu mindestens 10 % unmittelbar am Kapital der Y-AG erfüllt.
    Bei dem Kriterium der unmittelbaren Beteiligung kommt es nicht
    auf die zivilrechtliche Beteiligung
    an, sondern auf die
    steuerrechtliche Beteiligung.

  • Steuerrechtlich gilt bei einer vermögensverwaltenden
    Personengesellschaft die sog. Bruchteilsbetrachtung, so dass die von der
    vermögensverwaltenden Personengesellschaft gehaltenen Wirtschaftsgüter den
    Gesellschaftern unmittelbar als eigenes Wirtschaftsgut anteilig zugerechnet
    werden; im Ergebnis wird also die vermögensverwaltende Personengesellschaft
    hinweggedacht, so dass der Gesellschafter unmittelbar und anteilig an dem
    Wirtschaftsgut beteiligt ist, das sich im Vermögen der vermögensverwaltenden
    Personengesellschaft befindet.

  • Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Klägerin
    unmittelbar zu mindestens 10 % an der Y-AG beteiligt war.

Hinweise: Die Zwischenschaltung
der X-GbR hatte regulatorische Gründe, beruhte also auf öffentlich-rechtlichen
Auflagen.

Hätte die zivilrechtliche Betrachtung gegolten, wäre nur die X-GbR
unmittelbar an der Y-AG beteiligt gewesen, so dass die Klägerin nur mittelbar
– über die X-GbR – an der Y-AG beteiligt gewesen wäre. Eine
Freistellung bzw. Erstattung der Kapitalertragsteuer wäre dann nicht möglich
gewesen.

Hätte die X-GbR Gewinneinkünfte wie z.B. aus Gewerbebetrieb oder
aus selbständiger Arbeit erzielt, hätte die Klage keinen Erfolg gehabt; denn
dann wäre die Beteiligung an der Y-AG der X-GbR zugerechnet worden, weil die
sog. Bruchteilsbetrachtung nur bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften
gilt.

Die Entscheidung für die steuerrechtliche Betrachtung leitet der
BFH aus einer Regelung über die Steuerpflicht von Streubesitzdividenden ab, bei
der es ebenfalls auf den Umfang der unmittelbaren Beteiligung ankommt: Dort
werden Beteiligungen, die nicht über eine vermögensverwaltende
Personengesellschaft gehalten werden, ausdrücklich als unmittelbar fingiert,
während Beteiligungen, die über vermögensverwaltende Personengesellschaften
gehalten werden, nicht erwähnt werden.

BFH, Beschluss v. 18.5.2021 – I R 77/17; NWB

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