Erwirbt eine Verlustgesellschaft, die über Verlustvorträge verfügt,
Anteile an einer Gewinngesellschaft, um diese anschließend rückwirkend auf sich
zu verschmelzen, stellt die hierdurch herbeigeführte Verlustverrechnung keinen
Gestaltungsmissbrauch dar, sondern ist steuerlich anzuerkennen. Die Nutzung
eigener Verluste ist steuerlich nämlich zu akzeptieren.
Hintergrund: Ein
Gestaltungmissbrauch wird steuerlich nicht anerkannt. Ein Gestaltungsmissbrauch
liegt nach dem Gesetz vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung
gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten zu einem gesetzlich
nicht vorgesehenen Steuervorteil führt, den es bei einer angemessenen
Gestaltung nicht geben würde. Ein Gestaltungsmissbrauch liegt dagegen nicht
vor, wenn der Steuerpflichtige außersteuerliche Gründe für die Gestaltung
wählt, z.B. wirtschaftliche Gründe.
Sachverhalt: Die Klägerin war
eine GmbH, die über Verlustvorträge verfügte und sich im Jahr 2008 in
finanziellen Schwierigkeiten befand. Die Klägerin erwarb von C am 23.2.2009
Anteile an der D-GmbH. Am 24.2.2009 wurde die D-GmbH auf die Klägerin
rückwirkend zum 1.7.2008 verschmolzen, so dass es zu einem sog.
Rückwirkungszeitraum vom 1.7.2008 bis zum 23.2.2009 kam. In diesem
Rückwirkungszeitraum erzielte die D-GmbH positive Einkünfte aus der Auflösung
von Rückstellungen; dieser Gewinn war am 17.2.2009 im Wege einer sog.
Vorabausschüttung an C ausgeschüttet worden. Aufgrund der rückwirkenden
Verschmelzung wurde der Verlustvortrag der Klägerin mit den positiven
Einkünften der D-GmbH verrechnet. Das Finanzamt sah in der rückwirkenden
Verschmelzung einen Gestaltungsmissbrauch.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage statt:
-
Im Streitjahr 2008 gab es keine steuerlichen Regelungen, die
die Verlustverrechnung verhinderten (s. aber Hinweis unten). Nach dem Gesetz
konnte also der Verlustvortrag der Klägerin mit den positiven Einkünften der
D-GmbH verrechnet werden. -
Die rückwirkende Verschmelzung, die diese Verrechnung
ermöglichte, war kein Gestaltungsmissbrauch. Denn es steht einem
Steuerpflichtigen frei, einen von ihm selbst erwirtschafteten Verlust durch
Verrechnung mit positiven Einkünften zu nutzen. Die Klägerin muss daher keinen
wirtschaftlichen Grund für die Nutzung ihres Verlustvortrags nennen. -
Unbeachtlich ist, dass es sich bei der D-GmbH um eine eher
inaktive Gewinngesellschaft gehandelt hat. Denn zum einen verfügte die D-GmbH
noch über eine gewisse wirtschaftliche Substanz, zum anderen kam es der
Klägerin darauf an, den von ihr selbst erwirtschafteten Verlust zu nutzen. Zur
zulässigen Verlustnutzung gehört es, wenn die Klägerin als Verlustgesellschaft
die positiven Einkünfte, die sie zur Verlustnutzung benötigt, entgeltlich
erwirbt.
Hinweise: Das Urteil betrifft
das Streitjahr 2008. Der Gesetzgeber hat im Jahr 2013 reagiert und eine
Verlustnutzung im Rückwirkungszeitraum einer Verschmelzung ausgeschlossen, wenn
der eigene Verlust mit positiven Einkünften des verschmolzenen Rechtsträgers
verrechnet werden soll.
Dennoch ist das aktuelle Urteil bedeutsam, weil es deutlich macht,
dass die Nutzung eigener Verluste
grundsätzlich nicht gestaltungsmissbräuchlich ist, auch wenn der
Steuerpflichtige eine Gestaltung durchführt, um die Verlustnutzung zu
ermöglichen. Der BFH betont zudem, dass jeder Steuerpflichtige seine
Verhältnisse grundsätzlich so gestalten darf, dass keine oder möglichst wenige
Steuern anfallen; dabei darf er zivilrechtliche Gestaltungen frei verwenden.
Gestaltungsmissbräuchlich kann es hingegen sein, wenn der
Steuerpflichtige „Fremdverluste“ einkauft und diese zur
Verrechnung mit eigenen Gewinnen einsetzen will.
BFH, Urteil vom 17.11.2020 – I R 2/18; NWB