Verliert der Steuerpflichtige seine Aktien infolge der
		insolvenzbedingten Löschung der AG, ist der Verlust steuerlich bei den
		Einkünften aus Kapitalvermögen absetzbar. Dies gilt auch bei einer Ausbuchung
		der wertlos gewordenen Aktien aus seinem Depot. Der steuerliche Verlust
		entsteht jedoch nicht bereits dann, wenn der Steuerpflichtige mit einer
		Auskehrung von Vermögen objektiv nicht mehr rechnen kann oder wenn die
		Notierung der Aktien an der Börse eingestellt wird bzw. wenn die
		Börsenzulassung der AG widerrufen wird. 
Hintergrund: Zu den Einkünften
		aus Kapitalvermögen gehören auch Aktiengewinne und Aktienverluste. Der
		Gesetzgeber setzt grundsätzlich die Veräußerung der Aktien voraus. 
Streitfall: Der Kläger erwarb
		2009 10.000 Aktien der N-AG zum Preis von 0,94 € pro Aktie (Gesamtpreis
		9.400 €). Im Jahr 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen
		der N-AG eröffnet. Am 31.12.2013 wurden die Aktien mit einem Wert von 0,029
		€ pro Aktie im Depot des Klägers ausgewiesen; die AG war also noch nicht
		im Handelsregister gelöscht. Der Kläger machte in einer
		Einkommensteuererklärung 2013 einen Verlust aus Kapitalvermögen in Höhe von
		9.400 € geltend, den das Finanzamt nicht anerkannte. 
Entscheidung: Der
		Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab: 
Ein steuerlicher Verlust eines Aktionärs setzt einen
		Realisationstatbestand voraus, also insbesondere eine Veräußerung der Aktien.
		Der Kläger hat die Aktien jedoch nicht veräußert. 
- 
Eine Veräußerung setzt eine Übertragung der Aktien auf einen
Dritten gegen Entgelt oder zumindest gegen einen symbolischen Kaufpreis voraus;
bei Wertlosigkeit der Aktien kann die Übertragung sogar ohne Kaufpreis
erfolgen. - 
Zwar wird neben der Veräußerung auch die Einlösung als
Realisationstatbestand angesehen; eine Einlösung, d.h. Erfüllung, gibt es aber
nur bei sonstigen Kapitalforderungen wie z.B. Darlehensforderungen, nicht aber
bei Aktien. 
 Im Wege der Analogie ist allerdings auch der insolvenzbedingte
		Untergang von Aktien als Realisationstatbestand anzusehen, so dass ein
		entsprechender Verlust steuerlich zu berücksichtigen ist. Das Gesetz enthält
		nämlich eine sog. planwidrige Regelungslücke. Beim insolvenzbedingten Untergang
		wird die Leistungsfähigkeit des Aktionärs genauso gemindert wie bei einem
		Verkauf der wertgeminderten Aktien. Der BFH widerspricht insoweit der
		Auffassung der Finanzverwaltung. 
 Diese Wertminderung tritt jedoch erst dann ein, wenn die AG
		insolvenzbedingt beendet und im Handelsregister gelöscht wird. Denn dann
		erlischt auch das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs. 
 Gleiches gilt, wenn die Aktien infolge der Insolvenz aus dem Depot
		des Aktionärs ausgebucht werden; denn der Aktionär verliert damit die
		Verfügungsmacht über die Aktien. 
 Im Streitfall ist die N-AG im Jahr 2013 noch nicht gelöscht
		worden, und die Aktien des Klägers sind auch nicht ausgebucht worden. Es kam
		lediglich zu einem Wertverlust, der endgültig erst in einem Folgejahr –
		bei Löschung der N-AG oder bei Ausbuchung der Aktien – eingetreten ist.
		
 Auch eine etwaige Einstellung der Börsennotierung der N-AG oder
		ein Widerruf der Börsenzulassung der N-AG wären für die Berücksichtigung eines
		steuerlichen Verlustes nicht ausreichend, weil in beiden Fällen das
		Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs bestehen bliebe. 
Hinweise: Dem BFH genügt es
		nicht, dass im Jahr 2013 festgestanden hat, dass der Kläger keinen Anteil am
		Vermögen der N-AG mehr erhalten wird. Damit unterscheiden sich Wertverluste aus
		Aktiengeschäften von Darlehensausfällen. Der Verlust einer Darlehensforderung
		tritt nämlich dann ein, wenn endgültig feststeht, dass der Gläubiger mit seiner
		Forderung ausfällt; die Forderung muss also nicht zivilrechtlich erlöschen. Bei
		einem Aktionär genügt der Ausfall jedoch nicht für die Entstehung des
		steuerlichen Verlustes, weil entweder die AG gelöscht werden muss oder die
		Aktien aus dem Depot ausgebucht werden müssen. 
Der Gesetzgeber hat ab dem Veranlagungszeitraum 2020 die
		steuerliche Berücksichtigung von Aktienverlusten und Darlehensausfällen
		eingeschränkt: Der Verlust aus einer Ausbuchung wertlos gewordener Aktien oder
		aus der Übertragung wertlos gewordener Aktien kann jährlich nur noch in Höhe
		von 20.000 € mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen
		werden. Dies gilt auch für Darlehensverluste und Verluste aus der Übertragung
		wertloser Darlehensforderungen. 
BFH, Urteil vom 17.11.2020 – VIII R 20/18; NWB
					