Das Finanzamt darf die Erbschaftsteuer im Wege der Schätzung gegen
		unbekannte Erben festsetzen, wenn die Erben noch nicht bekannt sind und ein
		Nachlasspfleger bestellt worden ist. Die Schätzung ist aber erst dann zulässig,
		wenn der Nachlasspfleger ausreichend Zeit hatte, die Erben zu ermitteln. In der
		Regel ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall angemessen, so dass nach
		Ablauf des Jahres die Erbschaftsteuer geschätzt und gegen die unbekannten Erben
		festgesetzt werden kann. 
Hintergrund: Die Erbschaftsteuer
		wird gegenüber den Erben festgesetzt. Gibt es einen Nachlasspfleger, ist der
		Erbschaftsteuerbescheid ihm gegenüber bekannt zu geben. Ein Nachlasspfleger
		wird bestellt, wenn der Erbe noch nicht bekannt ist oder wenn nicht sicher ist,
		ob der Erbe die Erbschaft angenommen hat. 
Sachverhalt: Der Erblasser
		verstarb am 27.2.2014. Die Erben waren zunächst nicht ermittelbar. Am 5.6.2014
		wurde ein Nachlasspfleger bestellt, der eine Erbschaftsteuererklärung abgab.
		Das Finanzamt setzte am 27.4.2015 Erbschaftsteuer in Höhe von ca. 330.000
		€ gegen die „unbekannten Erben“ fest. Dabei erging der
		Bescheid hinsichtlich der Anzahl der Erben, der Erbanteile und der persönlichen
		Freibeträge vorläufig. Das Finanzamt schätzte im Bescheid, dass es 20 Erben
		gab, die jeweils 5 % geerbt haben und mit dem Erblasser nicht verwandt waren.
		Nachdem der Nachlasspfleger Einspruch eingelegt hatte, setzte das Finanzamt die
		Erbschaftsteuer auf ca. 265.000 € herab und ging nunmehr von 30 Erben
		aus. Erst im Klageverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) wurden die Erben
		festgestellt und die Nachlasspflegschaft aufgehoben; die Erben wurden nun
		Kläger. 
Entscheidung: Der
		Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab: 
- 
Sind die Erben nicht bekannt und besteht eine
Nachlasspflegschaft, kann die Erbschaftsteuer gegen die unbekannten Erben
festgesetzt werden. Der Bescheid ist gegenüber dem Nachlasspfleger bekannt zu
geben. - 
Die Erbschaftsteuer ist zu schätzen, da die einzelnen Umstände
noch nicht bekannt sind. Zu schätzen sind somit die Anzahl der Erben, die Größe
der Erbteile, d.h. die jeweilige Erbquote, sowie das Verwandtschaftsverhältnis,
das für die Steuerklasse und den Freibetrag maßgeblich
ist. - 
Allerdings darf das Finanzamt erst dann schätzen, wenn der
Nachlasspfleger ausreichend Zeit hatte, die Erben zu ermitteln. Dieser Zeitraum
hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. In der Regel ist ein Zeitraum von
einem Jahr ab dem Tod des Erblassers angemessen, wenn die Ermittlung der Erben
keine besonderen Schwierigkeiten aufweist. Dieser Zeitraum kann sich allerdings
verlängern, wenn es zu Verzögerungen bei der Bestellung des Nachlasspflegers
kommt, wenn genealogische Recherchen im Ausland erforderlich werden oder wenn
fehlende Urkunden in den Fällen der Auswanderung, des Krieges oder der
Vertreibung zu berücksichtigen sind. - 
Die Schätzungsbefugnis steht zwar zunächst dem Finanzamt zu.
Sie geht aber auf das Finanzgericht über, wenn es zu einem Klageverfahren
kommt. Werden die Erben bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem
Finanzgericht nicht ermittelt, darf das Finanzgericht die Schätzung des
Finanzamts überprüfen und ggf. selbst schätzen. Hingegen fällt die
Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts weg, wenn die Erben bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung ermittelt werden. Die Verhandlung vor dem Finanzgericht
fand ca. drei Jahre und fünf Monate nach dem Tod des Erblassers statt, so dass
es in jedem Fall angemessen war, die Erbschaftsteuer im Wege der Schätzung und
ohne Kenntnis der Erben festzusetzen. 
Hinweis: Im Streitfall war die
		Schätzung inhaltlich nicht zu beanstanden. Der Nachlasspfleger ging von 30
		Erben aus. Angesichts der Höhe des Nachlasses war nicht anzunehmen, dass einer
		der Erben die Erbschaft ausschlagen würde. Auch die Einstufung in die
		ungünstige Steuerklasse III war nicht zu beanstanden. Im Übrigen wirkte sich
		die hohe Anzahl der Erben positiv aus, weil der Freibetrag von jeweils 20.000
		€ für jeden der 30 Erben berücksichtigt wurde. 
Für die noch unbekannten Erben kann die Schätzung zwar nachteilig
		sein. Jedoch wird das Finanzamt einen Vorläufigkeitsvermerk festsetzen, wie
		dies auch im Streitfall geschehen ist. Aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks kann
		dann die Festsetzung der Erbschaftsteuer geändert werden, wenn die Erben
		ermittelt werden. 
BFH, Urteil vom 17.6.2020 – II R 40/17; NWB
					