Das Finanzamt darf einen Steuerbescheid nicht zuungunsten des
Steuerpflichtigen wegen einer sog. offenbaren Unrichtigkeit berichtigen, wenn
der Steuerpflichtige seine Einkünfte vollständig erklärt hat, das Finanzamt
beim Einscannen aber versehentlich einen Teil der erklärten Einkünfte nicht
übernommen hat und später die entsprechenden Prüfhinweise, die auf
unvollständige Einkünfte hindeuten, nicht bearbeitet. Es handelt sich dann
nämlich um eine unterlassene Sachverhaltsaufklärung und nicht um einen
mechanischen Fehler im Sinne einer offenbaren Unrichtigkeit.
Hintergrund: Das Finanzamt darf
einen fehlerhaften Steuerbescheid, der offenbar
unrichtig ist, berichtigen. Die Berichtigung kann zugunsten
oder zuungunsten des Steuerpflichtigen ausfallen. Offenbare Unrichtigkeiten
sind insbesondere Schreib- und Rechenfehler, z. B. ein Zahlendreher, durch den
bspw. Einkünfte in Höhe von 54.000 € statt 45.000 € erfasst
werden, oder ein Übersehen einer Angabe.
Sachverhalt: Die Kläger sind
Eheleute, die für das Streitjahr 2010 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung
abgegeben haben. Der Ehemann erklärte einen Gewinn aus selbständiger Arbeit in
Höhe von ca. 130.000 € und die Ehefrau erklärte Arbeitslohn in Höhe von
ca. 30.000 €. Beim Einscannen der Steuererklärung im Finanzamt wurde der
Gewinn des Ehemanns versehentlich nicht erfasst. Bei der abschließenden
Bearbeitung der Steuererklärung erhielt die Finanzbeamtin elektronische Prüf-
und Risikohinweise, wonach einer der Ehegatten Einkünfte von weniger als 4.200
€ erzielt habe und dass ein Vergleich mit den Vorjahreswerten nicht habe
durchgeführt werden können. Die Finanzbeamtin versah daraufhin die Hinweise mit
einem Haken, prüfte allerdings nicht, ob die Einkünfte in den Steuerbescheid
übernommen wurden, und erließ einen Einkommensteuerbescheid, in dem der Gewinn
des Ehemanns fehlte. Bei der Veranlagung für das Folgejahr bemerkte das
Finanzamt den Fehler und berichtigte den Steuerbescheid zuungunsten der Kläger,
indem nunmehr auch der Gewinn des Ehemanns in Höhe von ca. 130.000 €
angesetzt wurde.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:
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Eine Berichtigung des Bescheids wegen einer offenbaren
Unrichtigkeit setzt ein mechanisches Versehen voraus. Das unterlassene
Einscannen des Gewinns des Ehemanns stellt zwar grundsätzlich einen
mechanischen Fehler dar, da das unterlassene Einscannen nicht auf einem Rechts-
oder Tatsachenirrtum beruhte. Der Fehler war auch offenbar, da es keinen
erkennbaren Grund für das Abweichen von der Steuererklärung gab. -
Allerdings trat zu dieser offenbaren Unrichtigkeit noch ein
weiterer Fehler hinzu, nämlich die Nichtbearbeitung der Prüf- und
Risikohinweise. Das Übersehen dieser Hinweise wäre zwar ebenfalls als offenbare
Unrichtigkeit anzusehen gewesen. Jedoch hat die Finanzbeamtin die Hinweise
nicht übersehen, sondern sie hat sie nicht richtig bearbeitet, da sie lediglich
einen Haken hinter die Prüfhinweise gesetzt hat. -
Die Hinweise hätten Anlass dazu gegeben, die Angaben in der
Steuererklärung sowie die Angaben in dem Entwurf des Steuerbescheids zu
überprüfen und abzugleichen. Denn aus den Hinweisen ergab sich, dass einer der
beiden Ehegatten lediglich Einkünfte von rund 4.200 € erzielt hatte und
dass ein Vergleich mit den Vorjahreswerten nicht möglich war. Damit beruhte der
Fehler auf einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung. Ein solcher Fehler ist
kein mechanischer Fehler.
Hinweise: Hätte der Bescheid
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden, hätte das Finanzamt den Fehler
unproblematisch korrigieren können. So aber blieb dem Finanzamt nur die
Möglichkeit, eine Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit zu
überprüfen, da alle anderen Korrekturvorschriften eindeutig nicht in Betracht
kamen. Obwohl eine offenbare Unrichtigkeit in Gestalt des unterlassenen
Einscannens vorlag, wurde diese offenbare Unrichtigkeit durch die fehlerhafte
Sachverhaltsermittlung überlagert; die Kläger hatten immerhin die Einkünfte
richtig erklärt und waren für die fehlerhafte Sachverhaltsermittlung nicht
mitverantwortlich.
BFH, Urteil v. 4.1.2020 – VIII R 4/17; NWB