Dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung oder für ein
Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, nicht als
Werbungskosten abgesetzt werden können, verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem heute (10.1.2020)
veröffentlichten Beschluss entschieden.
Hintergrund: Nach dem Gesetz
sind Aufwendungen für die erstmalige
Berufsausbildung oder für ein
Erststudium, das zugleich eine
Erstausbildung vermittelt, nicht als Werbungskosten abziehbar. Stattdessen
mindern sie lediglich als Sonderausgaben – in den Streitjahren 2004 bis
2008 bis zur Höhe von 4.000 €, heute bis zur Höhe von
6.000 € – das zu versteuernde Einkommen in dem Jahr, in dem
sie anfallen.
Dagegen können Aufwendungen für weitere Ausbildungen und für
Erstausbildungen, die im Rahmen eines
Dienstverhältnisses stattfinden, wie andere Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen als
Werbungskosten abzugsfähig sein, soweit sie
beruflich veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang
mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs
getätigt werden. Ein Werbungskostenabzug setzt nicht voraus, dass der
Steuerpflichtige gegenwärtig bereits Einnahmen erzielt. Erforderlich ist, dass
die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren
Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Kläger der sechs Ausgangsverfahren begehrten jeweils die Anerkennung der
Kosten für ihr Erststudium bzw. für ihre Ausbildung zum Flugzeugführer als
Werbungskosten. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte die Verfahren ausgesetzt und
dem BVerfG die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die einschlägige
Vorschrift des Einkommensteuergesetzes insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar
ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige
Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung
vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses
Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch
keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die
vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche
Bemessungsgrundlage mindern
Entscheidung: Die Richter des
BVerfG halten die Vorschrift für mit dem Grundgesetz vereinbar.
-
Die Norm ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes
vereinbar. Zwar bewirkt die Vorschrift eine
Ungleichbehandlung von Aufwendungen des
Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein
Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt
(Erstausbildungskosten), mit Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und
Erhaltung von Einnahmen, zu denen auch Aufwendungen für zweite oder weitere
Ausbildungen sowie Aufwendungen für eine erste Berufsausbildung oder ein
Erststudium gehören können, die im Rahmen eines Dienstverhältnisses
stattfinden. -
Die Ungleichbehandlung ist jedoch
gerechtfertigt, da es für die Zuordnung der
Aufwendungen für eine Erstausbildung zu den Sonderausgaben einleuchtende Gründe
gibt. -
Nach Auffassung des Gesetzgebers gehört die erste
Berufsausbildung typischerweise zu den Grundvoraussetzungen
für die Lebensführung, weil sie Vorsorge für die persönliche
Existenz bedeutet und dem Erwerb einer selbstständigen und gesicherten Position
im Leben dient. Er ordnet deshalb Aufwendungen für die erste Berufsausbildung
ebenso wie Aufwendungen für Erziehung und andere Grundbedürfnisse
schwerpunktmäßig den Kosten der
Lebensführung zu. -
Diese Wertung des Gesetzgebers ist nicht zu beanstanden. Die
Erstausbildung oder das Erststudium
unmittelbar nach dem Schulabschluss vermittelt nicht nur
Berufswissen, sondern prägt die Person in einem umfassenderen
Sinne, indem sie die Möglichkeit bietet, sich seinen
Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine
Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen Beruf
notwendig sind. Sie weist damit eine besondere Nähe zur
Persönlichkeitsentwicklung auf. -
Die Qualifikation der dafür erforderlichen Aufwendungen als
durch die allgemeine Lebensführung (privat) veranlasst korrespondiert damit,
dass eine Erstausbildung noch von der Unterhaltspflicht der
Eltern umfasst ist. Diese schulden – in den Grenzen
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – eine Berufsausbildung, die
der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten
Neigungen des Kindes am besten entspricht. Die bei mangelnder
Leistungsfähigkeit der Eltern an die Stelle tretenden sozialrechtlichen
Leistungen werden dementsprechend der Bildungsförderung und nicht der
Arbeitsförderung zugerechnet. -
Auch bei einer stark auf einen bestimmten
späteren Beruf ausgerichteten Erstausbildung wie der
Ausbildung zum Berufspiloten liegt eine private
Mitveranlassung vor. Dass eine berufliche Veranlassung
überwiegt und den Schwerpunkt bildet, indiziert noch nicht zwangsläufig eine
unbedeutende private Mitveranlassung und umgekehrt. Der Gesetzgeber durfte
deshalb jedenfalls von gemischt veranlasstem Aufwand ausgehen, bei dem private
und berufliche Veranlassungselemente untrennbar sind und den er daher
systematisch den Sonderausgaben zuordnen durfte. Auch Erstausbildungen, die wie
die Pilotenausbildung einen konkreten Veranlassungszusammenhang mit einer
später ausgeübten Erwerbstätigkeit aufweisen, schaffen erstmalig die
Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensführung und vermitteln
Kompetenzen, die allgemein die Lebensführung der Auszubildenden
beeinflussen. -
Die Begrenzung des
Sonderausgabenabzugs für Erstausbildungskosten auf einen
Höchstbetrag von 4.000 € in den Streitjahren verstößt
auch nicht gegen das Gebot der Steuerfreiheit des
Existenzminimums. Der existenzielle Bedarf des Auszubildenden
wird während der Erstausbildung grundsätzlich durch die zivilrechtliche
Unterhaltspflicht der Eltern gedeckt. Alternativ oder kumulativ erfolgt eine
sozialrechtliche finanzielle Unterstützung, vorrangig durch Ansprüche auf
Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Soweit die
Auszubildenden/Studierenden eigenes Einkommen haben, wird das Existenzminimum
durch den Grundfreibetrag abgedeckt.
Hinweis: Die ausführliche
Pressemitteilung zu dem Beschluss sowie der
Volltext des Beschlusses sind auf der
Homepage des BVerfG veröffentlicht.
BVerfG, Beschluss v. 19.11.2019 – 2 BvL 22/14, 2 BvL 27/14, 2 BvL
26/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 23/14; NWB